Inhalt
Die Lektorin Susan Ryeland freut sich auf ein gemütliches Wochenende mit dem neusten Manuskript von Alan Conway, dessen Atticus Pünd-Krimis sich größter Beliebtheit erfreuen. Doch Susan muss feststellen, dass die letzten Kapitel fehlen – und dass Conway gestorben ist. Suizid, heißt es, doch Susan glaubt nicht recht daran. Mit einem Mal gibt es mehr als nur einen Fall zu lösen …
Meine Meinung
Ich habe immer von mir behauptet, dass ich nicht gerne Krimis lese, weil es gefühlt immer um dasselbe geht. Ermittler X hat Problem Y, löst Fall Z und kommt dabei noch in Bredouille zwecks Täter A. Die Morde von Pye Hall erzwangen mir allerdings ein Eingeständnis: dass ich schlichtweg noch nicht mein bevorzugtes Subgenre gefunden habe – und zwar die Whodunits. Klar darf – und soll – der Ermittelnde eine gewisse Rolle spielen. Aber ich mag es einfach nicht, wenn sich alles um ihn dreht; ich will auch hören, was die Verdächtigen zu sagen haben. Rückblickend war Die Morde von Pye Hall nicht nur ein absoluter Zufalls- und Glücksgriff, sondern geradezu perfekt auf meine Vorlieben zurechtgeschnitten.
Allein die Art und Weise, wie das Buch konzipiert ist, hat mich schon unglaublich fasziniert. Ich meine, eine Geschichte in einer Geschichte – das muss man als Autor erst einmal wagen. Das Buch beginnt mit ein paar wenigen Szenen aus Susans Sicht, dann geht es weiter mit dem Manuskript, das sie liest: Morde von Pye Hall soll der achte und letzte Band aus der Reihe rund um Atticus Pünd heißen. Natürlich kennt man als Leser die ersten sieben Bände nicht, doch gerade deswegen ist es umso faszinierender, wie vom Autor kleine Referenzen zu den anderen Erlebnissen Atticus Pünds gestreut werden. Man hat das Gefühl, in eine Welt einzutreten, die schon immer existierte – und obwohl diese Geschichte-in-Geschichte-Konstruktion vorliegt, vergaß ich während des Lesens ganz, dass da noch Susans Perspektive auf mich wartete.
Pünds Geschichte hat doppelten Flair: Zum einen spielt sie in den 1950ern in der kleinen Stadt Saxby-on-Avon, inklusive aller möglichen ländlichen Verschwörungen. Jeder Bewohner trägt irgendein Päckchen, ein Geheimnis mit sich herum, und als Pünd auf den Plan tritt, dringt er als Außenstehender in die Filterblase all dieser Intrigen ein. Pünd selbst ist ein faszinierender Charakter – er ist Überlebender der Konzentrationslager, ein in sich gekehrter, hochintelligenter Mann, der nur sein Lebenswerk – The Investigation of the Criminal Landscape – beenden will, aber mit einer Diagnose konfrontiert wird, der er nicht entkommen kann. Seine Ermittlungen verteilen sich in so viele Richtungen, dass mir bald von Befragungen und Hinweisen der Kopf schwirrte und ich mich dem Ergebnis doch kein bisschen näher fühlte.
Dann ging es zurück in Susans Geschichte, und ich will ehrlich sein: Ich hätte mich in diesem Moment nicht weniger für sie interessieren können. Ich hatte vergessen, dass ihre Geschichte noch dort auf mich wartete, und ein wenig enttäuscht war ich, Pünd jetzt schon loslassen zu müssen. Wie will der Autor jetzt noch eine weitere Kriminalgeschichte aufziehen?, überlegte ich noch. Und Horowitz bewies mir, dass er es sehr wohl kann.
Zugegeben – am Ende des Buches mochte ich Pünds Storyline immer noch etwas lieber als Susans. Weil seine Geschichte eine spannende Epoche, aber auch ein klassisches, dafür nicht minder spannendes Konzept vertritt. Es werden vermehrt Referenzen zu Agatha Christie gemacht, selbst ihr Enkel taucht für ein Kapitel auf. So fühlen sich Die Morde von Pye Hall ein bisschen wie eine Hommage auf die Queen of Crime an, gleichzeitig durch ihre Konzeption erfrischend-originell. Immerzu warf die Geschichte neue Fragen auf, forderte mir neue Theorien ab. Natürlich lag ich nicht richtig, was die Auflösung – beide Auflösungen – anbetraf, aber das machte mir nichts. Die Enthüllungen letztendlich zu lesen, war einfach unglaublich zufriedenstellend, und das ist ein Gefühl, mit dem ich nur zu gerne ein Buch abschließe.
Überhaupt hatte ich gar nicht das Gefühl, 600 Seiten gelesen zu haben. Ich las lange an dem Buch, ja – aber das lag hauptsächlich daran, dass ich nicht so viel Zeit investieren konnte und mich daher morgens schon darauf freute, abends weiterlesen zu können. Horowitz erzählt einfach so viele Geschichten – viel mehr als nur die von Pünd und Susan –, arbeitet jeden Charakter aus (damit auch alle angemessen zum Verdächtigen werden können) und nimmt sich die Zeit, deren Hintergründe darzustellen. Das funktioniert nicht bei allen Geschichten, aber für diese funktionierte es wunderbar.
Die Morde von Pye Hall ist nicht perfekt – rückblickend frage ich mich doch, ob manche Stellen wirklich in dieser Ausführlichkeit erzählt werden mussten, habe fast noch auf skandalösere Enthüllungen bei diesem Set-Up erwartet. Und, ganz banal gesagt, ein Aspekt des Endes von Susans Storyline gefällt mir einfach nicht, aber das könnte auch meine persönliche Präferenz sein. Außerdem hatte ich stellenweise den Eindruck, dass die Darstellung von Minderheiten angehörigen Charakteren mit mehr Feingefühl hätte behandelt werden können – manches wurde doch sehr stereotypisch beschrieben.
Dennoch hatte ich im Großen und Ganzen eine ausgiebige, gute Zeit mit Die Morde von Pye Hall, und sollte sich Horowitz jemals entscheiden, einen Pünd-Roman zu verfassen, wäre ich da sofort mit dabei. Wer Lust hat, zwei Geschichten in einer zu entdecken, Parallelen zu erforschen und mehrere Kriminalfälle gleichzeitig zu jonglieren, um am Ende doch wieder falsch zu liegen, ist meiner Meinung nach mit diesem Buch bestens bedient.
Die Morde von Pye Hall ist nicht perfekt – rückblickend frage ich mich doch, ob manche Stellen wirklich in dieser Ausführlichkeit erzählt werden mussten, habe fast noch auf skandalösere Enthüllungen bei diesem Set-Up erwartet. Und, ganz banal gesagt, ein Aspekt des Endes von Susans Storyline gefällt mir einfach nicht, aber das könnte auch meine persönliche Präferenz sein. Außerdem hatte ich stellenweise den Eindruck, dass die Darstellung von Minderheiten angehörigen Charakteren mit mehr Feingefühl hätte behandelt werden können – manches wurde doch sehr stereotypisch beschrieben.
Dennoch hatte ich im Großen und Ganzen eine ausgiebige, gute Zeit mit Die Morde von Pye Hall, und sollte sich Horowitz jemals entscheiden, einen Pünd-Roman zu verfassen, wäre ich da sofort mit dabei. Wer Lust hat, zwei Geschichten in einer zu entdecken, Parallelen zu erforschen und mehrere Kriminalfälle gleichzeitig zu jonglieren, um am Ende doch wieder falsch zu liegen, ist meiner Meinung nach mit diesem Buch bestens bedient.
Fazit
Die Morde von Pye Hall waren ein Ausflug in ein für mich bisher eher unerforschtes Genre – doch dieser Ausflug hat sich ganz klar ausgezahlt! Horowitz hat dem klassischen Whodunit seine ganz eigene Note gegeben, zwei Geschichten in einer verpackt und beiden mit gleichsam charmanten wie undurchsichtigen Charakteren Leben eingehaucht. Für ausgiebige, unterhaltsame Lesestunden bestens geeignet!
Die Morde von Pye Hall ⚬ übersetzt von Lutz-W. Wolff ⚬ Hardcover: 600 Seiten ⚬ Einzelband ⚬ Insel Verlag ⚬ 24€*
*Affiliate-Link im Rahmen des amazon Partnerprogramms. Wenn ihr über den Link etwas kauft, erhalte ich eine kleine Provision, für euch entstehen keine Mehrkosten.
3 Kommentare
Salut, um dieses Buch schleiche ich schon seit Wochen :-). Mir haben die Sherlock Holmes-Bücher von Anthony Horowitz total gut gefallen, und ich weiß eigentlich gar nicht, warum das Buch nicht schon längst in meinem Regal steht. Und nach dem Lesen deiner Besprechung frage ich mich das noch mehr :-).
Liebe Grüße,
Romy
Liebe Romy,
von seinen Sherlock Holmes-Büchern habe ich auch schon gehört, freut mich, dass sie dir so gut gefallen haben! (Jetzt hast du mich ein bisschen neugierig gemacht.) Ich kann mir gut vorstellen, dass dir „Die Morde von Pye Hall“ dann sehr gut gefallen könnte!
Alles Liebe
Isabella
Dieses Buch muss unbedingt in mein Regal! Ich bin in der Buchhandlung schon ein paar mal daran vorbei geschlichen, aber habe es nie gekauft. Das muss jetzt ganz schnell geändert werden.
Liebe Grüße, Pia