Es ist mittlerweile über anderthalb Jahre her, seitdem ich einen Blogartikel namens Homo faber, Agnes und Co. – oder warum ich keine Klassiker rezensiere verfasst habe. Seitdem hat sich nicht nur einiges geändert, sondern immer wieder kam mir der Gedanke: Ich sollte noch einmal über das Thema schreiben.
Doch bevor ich meine tiefsten Gedanken offenbare (ich habe die Talk About Books-Posts vermisst), möchte ich noch ein paar Sachen klar stellen: Mittlerweile bin ich zwar eine Germanistik-Studentin, aber das bedeutet noch lange nicht, dass ich Ahnung habe. Oder das Ganze wissenschaftlich oder objektiv angehe. Das will ich mit diesem Artikel gar nicht. Wenn ich also irgendetwas sagen sollte, das „falsch“ ist oder unglücklich formuliert, lade ich euch ein, mich darauf hinzuweisen. Nehmt es mir aber nicht übel.
Ich wollte jetzt schreiben „Ohne Umschweife“, aber das stimmt nicht. Auf jeden Fall geht‘s jetzt los.
In dem oben erwähnten Blogartikel sprach ich vor allem von einer Ehrfurcht, bestimmte Bücher, die als „Klassiker“ bezeichnet werden, zu rezensieren. Ich würde mich gerne ein wenig von dem Begriff „Klassiker“ wegbewegen; grundsätzlich habe ich aber in der Zwischenzeit ein paar Bücher gelesen, die unter diese Kategorie fallen würden – zum Beispiel Dantons Tod, The Picture of Dorian Grey, The Glass Castle,… und gerade diese drei gefielen mir sogar (recht) gut.
Auch spannend finde ich, dass ich damals schrieb, Homo faber nicht zu mögen – im Nachhinein ist es tatsächlich meine liebste Abiturlektüre gewesen.
Was sich also geändert hat, ist mein Blick auf manche Werke. Zugegeben, es hat gedauert, bis ich Dantons Tod begriffen habe – als es dann Klick machte, mochte ich das Buch plötzlich viel lieber. Es ist fast, als wurde mir damit eine neue Welt eröffnet; eine Welt, in der man nicht schreit, „Oh Gott, schon wieder diese Pflichtlektüren“, sondern sich tatsächlich mit ihnen beschäftigen möchte.
Braucht es ein Alter für diesen Blickwechsel? Einen erhellenden Moment? Oder vielleicht gehöre ich einfach zu einer Hybrid-Spezies – ich mag die Bücher nicht sofort, aber ich verabscheue sie nicht grundsätzlich?
Ein paar der Fragen, die mir im Kopf herumgeistern. Dann denke ich aber: Hey, so wirklich freiwillig würde ich das Ganze immer noch nicht lesen. Zu Miss Sara Sampson habe ich auch nur gegriffen, weil ich es für Gattungspoetik brauche. Vielleicht unterwerfen wir uns alle nur der Pflicht? Die anderen haben genau dieselben Klick-Momente wie ich, nur sprechen sie nicht darüber?
Nein. Das muss ich selbst widerlegen. Denn ich habe freiwillig zu Oscar Wildes Werken gegriffen – und sie (sehr) gemocht.
Was mich zu einem ganz anderen Gedanken bringt: Warum unterscheide ich überhaupt? Natürlich sind gerade ältere Werke anspruchsvoller. Ich greife nicht danach, wenn ich abends vor dem Schlafengehen ein paar Seiten lesen möchte. Aber das heißt längst nicht, dass das nicht andere machen! Vielleicht ist mein Throne of Glass für jemand anderen Romeo und Julia. Vielleicht ist das Lesen von „Klassikern“ oder „literarisch wertvollen“ Werken nur eine weitere Präferenz, so wie manche Menschen eben gerne Thriller lesen. Ein kleinerer Anteil vielleicht? Aber dennoch nicht zu leugnen. Gerade jetzt in den ersten Wochen meines Studiums habe ich doch ein paar Kommilitonen getroffen, die selbstverständlich über derartige Werke sprechen, wo ich nur nicke und lächle. Weil ich keine Ahnung habe, worum es geht. Weil ich mich noch nie auf die Art und Weise damit auseinandergesetzt habe.
Der Artikel hat eine ganz andere Richtung genommen, als ich erwartet habe – aber umso mehr ich über das Thema nachdenke, desto mehr Fragen (und Antworten!) warten auf mich.
Zum Beispiel haben wir in einem Seminar einen Text gelesen, der den Literaturbegriff hinterfragte. Das war auch etwas, über das ich mir noch nie Gedanken gemacht habe. Ich dachte, Literatur ist einfach das, was man liest. Genau, wie ich mir einen Augenblick später dachte, dass ich einen Einkaufszettel nicht als Literatur bezeichnen würde. (Allerdings würde ich Terry Eagleton auch nicht zustimmen, dass manche Werke einen Literatur-„Status“ hinzugewinnen oder verlieren können.)
Dasselbe ist also auch auf meinen „Klassiker“-Konflikt anzuwenden. Nur, weil ich mich nicht mit dem Thema auseinandergesetzt habe, heißt es nicht, dass andere das ebenso gemacht haben. Vielleicht habe ich gerade in der Hinsicht einfach ein eingeschränktes Blickfeld, was bedeutet, dass ich noch viel zu lernen habe – und viel lernen werde.
In meinem alten Blogpost erklärte ich, dass ich „Klassiker“ nicht rezensieren würde, weil mich eine Art Ehrfurcht davon abhält. Habe ich immer noch die Ehrfurcht? Absolut. Aber gerade mit ein paar kleinen Gedanken zu The Glass Castle oder Lord Arthur Savile‘s Crime sind die Barrieren etwas verschwommen. Wohlgemerkt die Barrieren, die in meinem Kopf existieren.
Was ich in den letzten Absätzen sagen wollte? Ich weiß es selbst nicht ganz genau. Vermutlich etwas in der Art:
- Ich befinde mich in einem ständigen Lernprozess, was Literatur, „literarisch wertvolle“ Werke und alles andere anbetrifft. Der Lernprozess hat womöglich dann angefangen, als ich zu lesen lernte, aber ich bezweifle, dass er jemals enden wird.
- Auch Werke, die man verflucht, kann man zu lieben lernen. Man muss sich Zeit und Geduld nehmen, aber es ist möglich – zumindest ein besseres Verständnis kann man immer erreichen.
- Ich werde niemals an dem Punkt ankommen, an welchem ich freiwillig wahllose Reclam-Heftchen kaufe und verschlinge. Ob ich mehr von einem bestimmten Autor lesen werde? Vielleicht. (Ich liebäugle mit Shakespeare. Und, sowieso, Oscar Wilde.)
- Letztendlich ist das Lesen von „solchen“ Büchern auch nur eine Präferenz wie jede andere. Nur weil ich das nicht regelmäßig lese oder zum Abschalten verschlinge, heißt es noch lange nicht, dass meine Sichtweise die einzige ist. Das ist etwas, das ich mir unbedingt öfter ins Bewusstsein rufen muss.
Ich bin selbst ganz fasziniert von der Art und Weise, wie sich in der letzten halben Stunde meine Ansichten ein weiteres Mal verändert haben. Vielleicht werde ich in einem Jahr einen weiteren Beitrag schreiben und in dem Goethe und Lessing verfluchen… Aber bis dahin werde ich weiter lesen. Und lernen.
Lasst mir eure Gedanken da. Habt ihr ähnliche Erfahrungen gemacht? An welchem Punkt des „Prozesses“ befindet ihr euch? Oh, und gerne nehme ich auch Empfehlungen für ganz „literarisch wertvolle“ Werke entgegen. Was muss man unbedingt gelesen haben?
6 Kommentare
Ich lese mir gleich mal deinen alten Beitrag noch durch, aber ich habe auch Angst, Klassiker zu rezensieren. Für die Schule habe ich letztes Jahr "Der Proceß" von Kafka gelesen und weil eine Aufgabe einer Challenge "Lies einen Klassiker" war, ich die Bücher aber alle rezensieren musste, habe ich mich an eine Rezension gesetzt. Dass mir das Buch aufgrund des zu Tode analysierten Zustandes gar nicht mehr gefallen KONNTE war mir bewusst. Am Ende habe ich meine Meinung einfach nieder geschrieben und habe auf eine Bewertung in Form von Punkten/Sternen verzichtet.
Und auch sonst las ich nur Klassiker aufgrund der Schule und ich bin der Meinung, dass einem nach monatelanger Analyse und am Schluss einer vielleicht gar nicht sooo guten Klausur Bücher gar nicht mehr gefallen können, egal wie gut sie sind.
Gestern war ich allerdings ein wenig auf Rebuy unterwegs und ich habe mir aus einer Laune heraus "Peter Pan", "Stolz und Vorurteil" und "Alice im Wunderland" bestellt. Bücher, die ich persönlich als Klassiker abstemple. Und ich freue mich sogar darauf, sie zu lesen und rezensieren. 🙂
Liebst, Lara.
Danke für deinen Kommentar <3
Stimmt, die Sichtweise habe ich ganz vergessen – so ging es mir bisher zum Glück nicht so oft, aber manche Bücher kann man wirklich zu Tode analysieren, sodass man sie am Anfang lieber mochte als zum Schluss. Vermutlich rührt daher auch das oft negative Bild von solchen Schullektüren. Weil uns quasi die Analyse reingedrückt wird.
Ohh, viel Spaß bei den Büchern! 🙂 "Alice im Wunderland" möchte ich auch unbedingt noch lesen! "Stolz und Vorurteil" mochte ich persönlich gar nicht; aber ich habe im Nachhinein auch gelesen, dass ich zu einer… unglücklichen Übersetzung gegriffen habe. Vielleicht hast du ja mehr Freude damit. 🙂
Hab ein schönes Wochenende!
Isabella
Interessanter Artikel!
Ich habe auch immer gesagt, ich würde keine Klassiker rezensieren, aber trotzdem habe ich jetzt gestern Kurzrezensionen zu zwei Büchern geschrieben (aber noch nicht veröffentlicht). Irgendwie habe ich das bis zu deinem Beitrag gar nicht so richtig realisiert 😀
Ich unterscheide dabei aber wohl auch danach, ob ich das Buch freiwillig gelesen habe und ob es mir gefallen hat. Ich würde zum Beispiel wohl keine Rezension schreiben, in dem ich ein Buch von Goethe zerreiße, weil ich da dann auch Angst hätte, einfach die Botschaft nicht verstanden zu haben und es deshalb nicht zu mögen.
Ich lese aktuell eigentlich gerne Klassiker, aber die lese ich ganz normal wie ich auch ein Jugendbuch lesen würde und beschäftige mich nicht zusätzlich noch mit Sekundärliteratur oder sowas, auch wenn ich das vielleicht tun sollte 😀 Ich denke der Unterschied zu damals ist einfach, dass ich jetzt nicht mehr dazu gezwungen werde und in der Schule war die Situation auch so, dass niemand wirklich Lust hatte. Ich habe auch ein Semester Germanistik gemacht und da habe ich schon gemerkt, dass ich gleich viel mehr Lust auf die Pflichtlektüren hatte, weil meine Mitstudenten auch viel motivierter waren und das ja ziemlich freiwillig gemacht haben. Die Situation ist also wirklich ausschlaggebend. Außerdem wusste ich da, dass wir die Lektüre nicht drei Monate lang zu Tode analysieren würden, sondern sie nur für eine Stunde Thema ist 😀
Empfehlen tue ich auf jeden Fall immer gerne 1984 und Peter Pan fand ich auch ganz interessant, weil es so schockierende Unterschiede zum Disney Film gibt 😀
Liebe Grüße!
Danke für den ausführlichen Kommentar <3
Oh, auf die Rezensionen bin ich gespannt! 🙂 Du hast Recht – je nach Situation liest man die Bücher auch ganz anders. Und gerade im Studium umgibt man sich ja sowieso mit Gleichgesinnten. 😀
Außerdem tut es gut, zu lesen, dass es dir ähnlich geht wie mir. 🙂 Genau die Befürchtung habe ich eben auch immer – dass ich bei der Bewertung dann irgendwelche "Fehler" mache oder eben einen (wesentlichen) Aspekt übersehen habe. Und ich kann es absolut nachvollziehen, dass du bei Freizeit-Klassiker-Lektüren nicht auch noch Sekundärliteratur hinzuziehen willst. 😀 Habe ich bisher auch nicht gemacht. Dann habe ich schon wieder das Gefühl, diese "Genuss"-Ebene aufzugeben.
Danke für deine Empfehlungen! Von 1984 hab ich schon viel gehört und das will ich unbedingt noch lesen!
Alles Liebe <3
"Genuss-Ebene" klingt schön, das merk ich mir 😀 Aber genau, dann hat das wieder weniger mit Spaß und Entspannung zu tun und das ist ja eigentlich Sinn der Sache, wenn man Bücher privat liest.
Arghh, na toll! 😀
Also, kurz zusammengefasst wollte ich eigentlich nur sagen, dass ich dir da voll und ganz zustimme! Obwohl es bei mir eigetlich hauptsächlich darauf ankommt, um welches Buch es geht. "Die Leiden des jungen Werther" und "Effie Briest" fand ich in der Schule schon grauenvoll und habe auch keine große Hoffnung, dass sich das nochmal ändert. Aber zum Beispiel "Faust" und "Emilia Galotti" fand ich schon damals klasse, sowohl von der Geschichte als auch von den Hintergründen her! Es kommt also wie gesagt ganz aufs Buch an! Wenn ich allerdings heute hin und wieder mal einen Klassiker lese, dann einfach nur zum Spaß und ohne mich stundenlang mit irgendwelchen Interpretationen zu beschäftigen! 😀