Wolf by Wolf und Blood for Blood von Ryan Graudin

Die Rezension bezieht sich auf beide Bände einer Dilogie, ist aber spoilerfrei, auch wenn ihr den ersten Band (noch) nicht kennt.

Inhalt

Es ist das Jahr 1956 in einer Welt, in der Hitler den zweiten Weltkrieg gewonnen hat. Berlin ist nicht mehr, die Stadt schmückt sich jetzt mit dem Namen Germania.
Yaels Kindheit bestand aus Experimenten, engen Räumen und toten Menschen. Doch sie konnte fliehen und hat sich dem Widerstand angeschlossen. Jetzt hat sie nur ein Ziel: Hitler zu töten. Um das zu tun, muss sie an dem jährlichen Motorradrennen von Germania nach Tokyo teilnehmen … und gewinnen.

Meine Meinung

Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll – dabei empfinde ich so viel für diese beiden Bücher, dass ich immer wieder daran zurückdenke. Vor allem aber bin ich seltsam dankbar: dass ich vor ein paar Monaten Wolf by Wolf für 99 Cent als eBook entdeckte, weil ich das Buch sonst niemals gelesen hätte. Ich dachte immer, dass mich das Thema nicht ausreichend interessierte, dass ich mit Motorrädern nichts am Hut habe (gut, das ändert sich nicht) – aber dann waren da diese 99 Cent und ich dachte mir, ein Versuch ist es wert.
Und was für ein Versuch es war.
Obwohl die einzelnen Bände im Direktvergleich große Unterschiede aufweisen, haben sie eins gemeinsam: die Sogwirkung. Man kann das Buch nicht lange weglegen, ohne, dass die Gedanken dorthin zurückwandern, dass man überlegt, wann man das nächste Mal weiterlesen kann. Graudin muss keine Cliffhanger einsetzen, damit man mehr möchte, mehr von den Charakteren, von der Geschichte, von der schonungslosen Ehrlichkeit, mit der sie uns begegnet. (Und, hey, es macht doch immer wieder Spaß, deutsche (Schimpf)Wörter in einem englischen Text zu lesen.)
Yael ist eine unglaublich gute Protagonistin, deren Entwicklung sich wie ein roter Faden durch die beiden Bände zieht. Sie hat alles verloren – ihre Mutter, ihre Heimat, ihre Freunde, ihre Identität – und dennoch (oder gerade deswegen) ist Aufgeben für sie keine Option. Sie kommt nie von ihrem Ziel ab, beweist einen messerscharfen Blick und tut alles, um am Leben zu bleiben. Ich mag Charaktere wie ihren, weil ich gar nicht darüber nachdenke, ob ich sie sympathisch finde – ich kann einfach gar nicht anders, als mit ihr mitzufühlen, als mit ihr das Motorrad zu besteigen und zu hoffen, dass sie Erfolg haben wird, ganz ungeachtet davon, ob ich sie leiden könnte, wenn wir uns treffen würden. Die Umstände, in denen sie aufwächst und agiert, heben sie einfach aus jeglichem Vergleichsrahmen heraus – etwas, das einerseits beeindruckend, andererseits schlichtweg herzzerreißend ist.
Luka Löwe kam mir zuerst wie das typische Loveinterest vor: Er ist ein Mitstreiter in dem Rennen, in welchem sich Yael als ein anderes Mädchen namens Adele ausgibt, und hat Vergangenheit mit ebendieser Adele. Ich will euch gar nicht zu viel verraten, aber er ist ganz klar der Charakter, der mich am meisten überrascht und letztendlich auch am meisten berührt hat. Obwohl er einen Großteil der Dinge mit Sarkasmus abhandelt, beweist er eine unglaubliche Scharfsinnigkeit und Intelligenz. Wer eine typische YA-Romanze erwartet, wird enttäuscht: das Romantische hält sich stark am Rand, aber dennoch sind die beiden – wenn man sie denn so bezeichnen kann – zu einem meiner liebsten Paare überhaupt geworden.
Zuletzt ist da Felix, Adeles Bruder, der natürlich nicht weiß, dass Yael in Adeles Verkleidung steckt. Er ist einer der Charaktere, die ich am wenigsten mochte, aber gleichzeitig kam ich nicht umhin, Verständnis für ihn entwickeln, da er konstant zwischen den Stühlen steht. Er ist immerzu hin- und hergerissen zwischen zwei Optionen, die beide gleichermaßen schlimm sind, und obwohl er alles für seine Familie tun würde – tut –, entgleitet ihm die Situation immer öfter aus den Händen.
Ich habe nicht nur so ausführlich von den dreien geschrieben, weil sie charakterliche Meisterwerke sind, sondern vielmehr, weil sie allesamt (wirklich nahezu alle Charaktere in der Dilogie) eins gemeinsam haben: gefangen in unvorstellbaren Umständen müssen sie dem Grausamsten begegnen und darüber hinaus gehen. Der Weltenentwurf, den Ryan Graudin uns präsentiert, ist harsch, erschreckend, unbeschönigt. Sie nimmt Teile der Vergangenheit und flicht sie mit Entwicklungen zusammen, die durchaus eine plausible Option gewesen wären, wenn 1945 anders geendet hätte.
Letztlich ist in Wolf by Wolf und Blood for Blood ist niemand sicher. (Oh, wie viel Schmerz es mir wieder und wieder bereitet hat, das zu begreifen.) In dieser alternativen Geschichte, die rein von den Floskeln mancher in dem Buch eine erschreckende Ähnlichkeit mit der Realität aufweist, steht alles auf dem Spiel. In diesem Sinne ist die Dilogie nicht zuletzt eine Erinnerung: wie die Dinge sein könnten – wenn die Vergangenheit anders verlaufen wäre und die Gegenwart anders verlaufen würde. In Ryan Graudins Händen wird die Thematik zu absoluten Meisterwerken – natürlich kann ich nicht anders, als eine absolute Leseempfehlung auszusprechen.

Yael was not a monster. Luka was not the next generation of National Socialism. They were what the Reich would come to fear the most. A Jewish Girl and a German boy holding the future and the past in their hands—together.
Ryan Graudin – Blood for Blood

Fazit

Mittlerweile sollte klargeworden sein, wie begeistert ich von Wolf by Wolf und Blood for Blood bin und warum sie zu meinen absoluten Favoriten in 2017 gehören. Graudin zeigt eine düstere Welt auf, die Realität hätte sein können, und füllt diese mit einem kleinen Hoffnungsschimmer, der zu wahrhaftiger Größe wachsen kann.
Wolf by Wolf ⚬ Taschenbuch: 320 Seiten ⚬ Band 1/2 ⚬ ca. 7,99€* / 0,99€* (eBook)
Blood for Blood ⚬ Taschenbuch: 496 Seiten ⚬ Band 2/2 ⚬ ca. 7,99€*
*Affiliate-Link im Rahmen des amazon Partnerprogramms. Wenn ihr über den Link etwas kauft, erhalte ich eine kleine Provision, für euch entstehen keine Mehrkosten.

Du magst vielleicht auch

5 Kommentare

  1. Guten Morgen Isabella!
    Eigentlich klingen die Bücher nicht nach einer Reihe, die ich mögen würde. Da ich aber dasselbe von Cavaliersreise dachte, vertraue ich dir einfach 😀 Die Bücher sind auf meiner Wunschliste gelandet und werdrn irgendwann gelesen.
    Sehr schöne spoilerfreie Rezension, me like it!
    Viele Grüsse
    Julia

  2. Liebe Isabella,

    was für eine großartige Rezension. Ich mag nur selten Jugendbücher, weil mich die Teenager-Dramen so sehr nerven, aber du hast es mir definitv schmackhaft gemacht. Das kommt defintiv auf meine To-Read-Liste.
    (Und wie wunderbar spoilerfrei dir Rezension war!)

    Liebe Grüße
    Alisha

  3. Liebe Julia,

    das Gefühl kann ich sehr gut nachvollziehen 😀 Sowohl bei "Wolf by Wolf" als auch bei "Cavaliersreise" war ich echt skeptisch, ob mir das gefallen würde – aber das zeigt doch nur wieder, dass es sich lohnt, hin und wieder außerhalb der Komfortzone zu lesen.

    Dankeschön <3 Hab einen schönen Sonntag!
    Isabella

  4. Liebe Alisha,

    ahh, dankeschön, das freut mich! 🙂 Ich habe selbst immer Angst, dass mir zu viel verraten wird, und wenn man schon beide Bände kennt, ist es immer noch etwas schwerer, da die Balance zwischen zu viel und genau richtig zu finden. Deshalb ist es schön zu hören, dass ich dir die Dilogie etwas näherbringen konnte, und falls du zu den Büchern greifst, wünsche ich dir ganz viel Freude damit!

    Hab einen schönen Sonntag!
    Isabella

  5. 99ct? Warum hast du das nicht früher gesagt? Oder hast du? (Rate mal, was ich gerade gekauft habe…)

    Ich habe dir schon gefühlt 100x geschrieben, dass ich die Bücher lesen möchte – aber jetzt muss ich es auch wirklich tun! Oder? Ich meine, ich war ja schon überzeugt, aber vielleicht brauchte ich doch nochmal einen Schubs in die richtige Richtung 😀

    Wenn es gut läuft, schaffe ich es ja vielleicht schon im Februar oder März. Da sollte ich ja genug Zeit haben.

    Liebe Grüße 🙂
    Aileen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.