Endzeit von Olivia Vieweg

Content Warnung: Graphische Darstellung von einem Suizidversuch, überhaupt graphische Darstellungen von Gewalt, Blut, Mord und Tod.

Zwei Jahre Zombieapokalypse haben ihre Spuren auf der Welt hinterlassen. Die Städte Weimar und Jena haben einen Schutzzaum um sich errichtet, verbunden sind sie durch einen Güterzug. In ebendiesem Güterzug treffen Eva und Vivi aufeinander, zwei Frauen, die beide mit den Dämonen ihrer Vergangenheit und ihrer Gegenwart gleichermaßen kämpfen müssen. Und sie beide wollen nach Jena – nur ist der Weg dorthin alles andere als einfach …

Ich schreibe Rezensionen selten direkt nach dem Beenden eines Buches; meistens wähle ich eine Art Mittelding, nehme mir ein, zwei Tage, bis alle Gedanken gesammelt sind und ich etwas Abstand zu der Geschichte besitze. Mehr Zeit lasse ich ungern verstreichen, aus Angst, etwas zu vergessen, wer weiß, in wie vielen anderen Geschichten ich in der Zwischenzeit vergraben war. Als ich diese Rezension schreibe, sind nunmehr vier Tage vergangen, seitdem ich Endzeit binnen zwei Stunden gelesen habe. Gerade eben habe ich noch einmal in das Buch „hineingeblättert“, und ehe ich mich versah, hatte ich die ersten fünfzig Seiten ein zweites Mal gelesen. Die Geschichte scheint mich auch nach dem zeitlichen Abstand nicht loszulassen, nutzt jede Gelegenheit, mich ein weiteres Mal in ihren Bann zu ziehen.
Wisst ihr, wenn ich das Ganze so nüchtern wie möglich betrachte, gibt es einige Kritikpunkte, die ich an der Graphic Novel äußern kann. (Auch wenn ich, wie immer, den Disclaimer aussprechen muss, dass ich mit dem Medium noch wenig vertraut bin und meine Probleme mehr von dem Konzept an sich als von dem eigentlichen Werk herrühren könnten.) Zum Einen bleibt so viel offen, zwischen den Szenen, am Ende des Werkes. Da gibt es gefühlt endlos viel Hintergrundgeschichte, die ich nur allzu gern hören würde, die aber bestenfalls zwischen den Seiten geflüstert wird. Gerade anfangs werden viele Handlungsstränge eingeführt, die gar nicht wieder aufgenommen werden, die nur ansatzweise erklärt werden.
Dann sind da andere Ungereimtheiten, insbesondere in Zusammenhang mit Vivis Behandlung. Ihr müsst wissen, dass ihre Geschichte in einer Psychiatrie beginnt, weil sie das Trauma der Zombieapokalypse nicht verarbeiten kann, weil die Schuld und die Dinge, die sie gesehen hat, zu sehr auf ihr lasten. Doch so grandios ich das an sich finde – dazu später noch mehr –, so konnte ich hin und wieder nicht das Gefühl von Ungereimtheiten loswerden, und manchmal schlich sich ein schaler Geschmack in meinen Mund. Beispielsweise gibt es eine Szene am Anfang des Werkes, wo Vivi ausdrückt, dass sie immer noch Probleme hat, zu schlafen – und ihre (ohnehin dubiose) „Therapeutin“, wenn man so nennen kann, drückt ihr als Antwort nur mehr Pillen in die Hand. Pillen, die Vivi immer dann schluckt, wenn es ihr irgendwie passt. Und überhaupt fällt es mir schwer, nachzuvollziehen, warum Medikamente anscheinend im Überfluss vorhanden sind, wenn andere Ressourcen so knapp oder gar nonexistent sind? Solche Ungereimtheiten meine ich eben.
Aber irgendwie kann ich der Graphic Novel das Ganze nicht übel nehmen. Weil ich nach Tagen immer noch an die Geschichte zurückdenke, weil ich mich während des Lesens immerzu in den Bildern verlor und wieder fand. (Ich las das Buch zusammen mit Felia, und, ehrlich gesagt, habe ich den Buddy Read ziemlich vermasselt, weil ich immer wieder vergessen habe, auf’s Handy zu schauen und ihr zu antworten. Ich konnte mich einfach kaum von der GN losreißen.)
Letztendlich ist es vermutlich die Essenz der Geschichte und das, was sie fernab der Zombieapokalypse erzählt, was mich am meisten beeindruckte. Ich finde es ohnehin toll, dass die GN in Deutschland spielt, aber noch toller, dass sie einerseits die unwahrscheinliche Freundschaft der zwei Protagonistinnen, aber mehr noch deren Traumata in den Vordergrund stellt, dass sie langsam die Hintergründe dieser Traumata aufdeckt und zeigt, wie sowohl Eva als auch Vivi versuchen, damit umzugehen. Auch hier muss ich einwenden, dass das nicht immer einwandfrei dargestellt wird, dass gerade Eva ziemlich viele verletzende Dinge zu Vivi sagt, die zwar ihren Umständen (die ich hier, ohne zu spoilern, nicht verraten kann) zuzuschreiben, aber nicht durch diese zu entschuldigen sind. Dadurch ist die Graphic Novel zuweilen sehr unangenehm zu lesen, aber es ist ein unangenehm, das mich wiederum zum Nachdenken brachte – und wie sehr, sollte mein Geschwafel hier bereits ausführlich abgedeckt haben. Denn egal, was sie tun und was sie sagen, am Ende der GN sind Evas und Vivis Ziele gar nicht so unähnlich – beide wollen, dass die jeweils andere irgendwie heil aus dem Ganzen herauskommt.
Verbunden mit dem wunderschönen Zeichenstil, den fast schon träumerischen Farben, die in einem starken Kontrast zu der Grausamkeit stehen, die sich in dieser Geschichte versteckt, und einer Thematik, die viel zu selten angesprochen wird, wird Endzeit zu einer einzigartigen Erfahrung. Eine, die sogar eine Zombieapokalypse überstehen kann.

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