[Rezension] Die Königin der Schatten – Verflucht – Erika Johansen

Da es sich hierbei um den zweiten Teil einer Trilogie handelt, kann die Rezension Spoiler enthalten.

 

Inhalt

Kelsea Glynn ist jetzt Königin, doch Frieden kehrt noch lange nicht in Tearling ein. Da sie das Abkommen mit der Roten Königin gebrochen hat, ist die Mort-Armee jetzt auf dem Vormarsch, und sie bringt mit sich einen Krieg, den Kelsea unmöglich gewinnen kann. Doch dann tut sich eine mysteriöse Verbindung zu der Vergangenheit auf, die womöglich alles ändern könnte…

Meine Meinung

Als ich Die Königin der Schatten – Verflucht in die Hand nahm, hatte ich befürchtet, Anschlussschwierigkeiten zu haben, da das Lesen des ersten Bandes über anderthalb Jahre zurückliegt. Deshalb war ich umso positiver überrascht, als sich meine Befürchtungen als größtenteils unbegründet herauskristallisierten: Ein ganz grobes Hintergrundwissen reicht, um fast alles in Band 2 zu verstehen, nur bei kleinen Details war ich manchmal verwirrt. Meinem Lesevergnügen hat es zumindest keinen Abbruch getan, und ich musste mir nicht die Zeit nehmen, den ersten Band ein zweites Mal zu lesen (nicht zuletzt, weil der wiederum 500+ Seiten misst).
Das Stichwort ist bereits gefallen: Die Königin der Schatten – Verflucht war von der ersten bis zur letzten Seite ein einziges Vergnügen. Ich bin überrascht, wie gut mir der Band gefiel. Vielleicht liegt das daran, dass ich mich mittlerweile selbst in Kelseas Altersklasse bewege, aber stand ich der Protagonistin im ersten Band noch zwiegespalten gegenüber, habe ich sie jetzt endgültig ins Herz geschlossen. Gerade, weil sie in ihren ersten Wochen als Königin Fehlentscheidungen getroffen hat und immer noch trifft. Aber immerhin trifft sie Entscheidungen, tritt die Politik nicht nur an irgendwelche Untertanen ab, sondern beteiligt sich aktiv – und sieht auch ihre Verfehlungen ein.

Schmerz entwaffnet nur die Schwachen.
(Die Königin der Schatten – Verflucht, Erika Johansen, Heyne)

Kelsea ist eine Protagonistin mit zahlreichen Makeln, und gerade die Tatsache, dass sie das selbst sieht, macht sie in meinen Augen so sympathisch. Es gibt einfach zu viele Protagonistinnen, die ihr Handeln kein einziges Mal hinterfragen, und Johansen gelingt hier ein erfrischender Twist. In dem zweiten Band entwickelt Kelsea sich noch dazu in eine sehr düstere Richtung, die mich unglaublich faszinierte und mich realisieren ließ, wie sehr ich sie unterschätzt habe. Das teils naive Mädchen aus dem ersten Band ist einer starken Frau gewichen, die sich den Konsequenzen ihrer Handlungen stellt.
Ein kurzer Einwand dazu (für diesen Absatz gilt eine Triggerwarnung für selbstverletzendes Verhalten!): In Folge der Verdüsterung ihres Charakters entdeckt Kelsea auch, dass sie durch ihre bloßen Gedanken Leute verletzen kann. Um ihre Wut zu „kontrollieren“, richtet Kelsea diese Kraft immer öfter gegen sich selbst und lässt ihre Haut aufreißen. An mehreren Stellen im Buch wird beschrieben, wie ihre Arme und Beine Wunden zeigen, bluten, etc., und sie tauscht sich sogar mit einem anderen Charakter darüber aus, der ähnlich fühlt. Das finde ich, kurzum gesagt, katastrophal: Es wird ganz deutlich und explizit ein selbstverletzendes Verhalten gezeigt, ohne die Problematiken dessen zu thematisieren. Dass Kelsea es als Ventil für ihre Wut gebraucht, wird als vollkommen akzeptabel dargestellt, was dem Buch stellenweise einen bitteren Beigeschmack verlieh.
Auch die Nebencharaktere, insbesondere Kelseas Königsgarde, oder zum Beispiel Pater Tyler, sind exzellent herausgearbeitet und brillieren als eigenständige Figuren, nicht nur als Hilfswerke der Protagonistin. Jedem wird eine eigene Stimme und eigene Charakteristika verliehen; dass das Buch auch aus anderen Sichtweisen erzählt wird und nicht nur aus Kelseas, hat mich nicht im Geringsten gestört. Im Gegenteil: Es hat unglaublich viel Spaß gemacht, zu sehen, wie unterschiedlich die Perspektiven auf die Ereignisse sein können und wo Intrigen geschmiedet und Ereignisse enthüllt werden, von denen Kelsea noch gar keine Idee hat.

Und Kelsea fragte sich plötzlich, ob die Menschheit sich je änderte. […] Das bestimmendste Charakteristikum dieser Spezies war wohl die Verfehlung.
(Die Königin der Schatten – Verflucht, Erika Johansen, Heyne)

Schon in Die Königin der Schatten hat mich der Weltenbau ganz besonders fasziniert: Obwohl Kelseas Welt mittelalterliche Zustände darstellt, spielt die Geschichte etwa im Jahr 2300, ist also eine verquere Zukunftsvision. Im ersten Band gab es für meinen Geschmack noch zu wenig Informationen über diese Welt, was sich im zweiten drastisch ändert: Erika Johansen baut über Kelseas Visionen die Perspektive einer Frau namens Lily Mayhew ein, die im 21. Jahrhundert lebt und sich gerade in dieser Umbruchphase befindet.
Zugegeben: Ich stand Lilys Kapiteln etwas zwiegespalten gegenüber, nicht zuletzt, weil ihre Perspektive einen Großteil des Buches einnimmt, was mich etwas abschreckte, weil ja eigentlich Kelseas Geschichte erzählt wird. Auch wenn ich die Ereignisse der Vergangenheit unglaublich spannend fand (dazu gleich noch mehr), fragte ich mich immer wieder, welche Bedeutung ihre Perspektive jetzt für Kelseas Gegenwart hat. Zum Ende des Buches hin werden mehr Parallelen gezogen, aber auch diese erschienen mir etwas an den Haaren herbeigezogen und ließen mich eher unbefriedigt zurück, nachdem ich so viel Zeit mit Lily verbracht hatte. Ich kann mir gut vorstellen, dass man Lilys Sichtweise stark hätte kürzen können – aber, wie gesagt, da die Ereignisse zu ihrer Zeit an sich nicht uninteressant waren, störten mich ihre Passagen nicht zum Lesezeitpunkt, sondern eher im größeren Zusammenhang.
Und, wie bereits angedeutet: Die Essenz des Weltenbaus ist einfach unglaublich genial! Ich habe noch nie etwas Vergleichliches gelesen. Was Erika Johansen in Die Königin der Schatten – Verflucht ausführt, ist kreativ und faszinierend und erschreckend zugleich. Ich kann aufgrund von Spoilern nicht ins Detail gehen, aber sie löst sich etwas von dem dystopischen Weltenentwurf und widmet sich Leuten zu, die bewusst eine Utopie schaffen wollten. Ich bin immer noch begeistert; es ist einfach vollkommen anders als alles, was ich jemals gelesen habe. Johansen revolutioniert High Fantasy, und sie macht es mit einer beeindruckenden Leichtigkeit.
Kurz gesagt: Obwohl Die Königin der Schatten – Verflucht über 600 Seiten stark ist, habe ich die Dicke des Buches höchstens in den Momenten gespürt, in denen mein Handgelenk nachgeben wollte. Die Kapitel flogen förmlich an mir vorbei, und ich war konstant gespannt, wie Kelseas Geschichte weitergeht, ob sich eine Lösung finden lässt, um die Mort-Invasion irgendwie zu stoppen. Vermutlich ist das Buch einer der besten zweiten Bände, die ich jemals gelesen habe.

Fazit

Die Königin der Schatten – Verflucht ist ein grandioser zweiter Band, der die Schwachstellen des Auftakts ausmerzt und mit seiner Originalität beeindruckt. Trotz ein paar kleinerer Kritikpunkte flogen die Seiten förmlich an mir vorbei, und ich bin unglaublich gespannt darauf, welches Ende Kelseas Geschichte nehmen wird!
Vielen Dank an Heyne für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars!
Die Königin der Schatten – Verflucht ⚬ übersetzt von Sabine Thiele ⚬ Broschüre: 608 Seiten ⚬ Band 2/3 ⚬ Heyne Verlag ⚬ 14,99€*
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