Ich weiß, ich weiß – vielleicht denkt sich der ein oder andere von euch: Jetzt redet sie schon wieder über Frankenstein? Die kurze Antwort ist: Ja. Die längere ist: Ja, denn bisher habe ich meine Begeisterung zwar regelmäßig, aber nur in Teilen von Beiträgen, in Nebensätzen, in dem ein oder anderen Kommentar oder Tweet ausgedrückt. Ich wollte Frankenstein aber – gerade anlässlich der Tatsache, dass es dieses Jahr seinen 200. Geburtstag feiert, und es ganze 200 Jahre für mich dauerte, um es zu entdecken 😉 – einen ganzen, ausführlichen Beitrag widmen. Damit ich meine Begeisterung nicht auf ein paar Zeilen komprimieren muss.
Ihr mögt Frankenstein nicht? Vielleicht könnt ihr ja etwas mit meinem Essay anfangen und nachvollziehen, warum ich so begeistert bin – oder aber die von Frankenstein inspirierten Romane können euch mehr mitreißen.
Ihr kennt Frankenstein (noch) nicht? Vielleicht kann euch der Beitrag dazu anregen, es doch einmal zu versuchen. In jedem Fall sind die Buchempfehlungen ohne jegliche Vorkenntnisse zu lesen. Der Essay und mein Kommentar zu The Dark Descent of Elizabeth Frankenstein enthalten Spoiler.
Inhalt
(M)eine Liebeserklärung an Frankenstein
Ich habe schon oft gesagt, dass ich Frankenstein vermutlich nie gelesen hätte, wäre es nicht Pflichtlektüre in der Uni gewesen. Die Geschichte geht allerdings noch ein Stückchen weiter: Nachdem ich Frankenstein gelesen hatte, war ich nicht einmal ansatzweise so interessiert an dem Buch, wie ich es jetzt bin. Es änderten sich zwei Dinge: Via Instagram stolperte ich über die Shelley/Wollstonecraft-Biographie Romantic Outlaws. Und ich musste einen Essay über das Werk schreiben, wo ich zwischen zwei Themen auszuwählen hatte. Ich wählte das aus, in welchem ich diskutieren sollte, wie die potentielle Menschlichkeit der Kreatur im Roman ersichtlich wird.
Obwohl ich zwei Wochen Zeit hatte, ließ ich die erste Woche tatenlos verstreichen, etwas unglaublich Untypisches für mich. Ich las etwas mehr in der Biographie, versuchte, meine Gedanken – davon hatte ich viel zu viele – irgendwie zu sortieren. Da mein erster Essay in diesem Kurs weniger gut ausgefallen war, hatte ich Angst, auch den zweiten in den Sand zu setzen. Was ich befürchtete, dass es sich als Katastrophe entpuppen würde, endete damit, dass ich den Essay in zwei Tagen schrieb, ein bisschen manisch, ein bisschen benebelt. Der Titel lautete: The Shifting Humanity of Frankenstein‘s Monster.
Kurz zusammengefasst habe ich mir in dem Essay die Frage gestellt, wie man Menschlichkeit definiert. Warum wird das Monster, je nach Kontext, als gar nicht menschlich – sondern monströs –, bestenfalls als weniger menschlich, perzipiert? Ein Teil der Antwort liegt bestimmt in der race science des 18. und 19. Jahrhunderts1, ein anderer Teil gewiss in den Händen der Gesellschaft, beginnend mit Victor Frankensteins Reaktion bei der Erschaffung des Monsters:
His jaws opened, and he muttered some inarticulate sounds, while a grin wrinkled his cheeks. He might have spoken, but I did not hear; one hand was stretched out, seemingly to detain me, but I escaped, and rushed downstairs. (Shelley 59)
Viktor Frankenstein ist erschrocken, denn „a mummy again endued with animation could not be so hideous as that wretch“ (ebd.); die Kreatur kann die Handlung nicht vollziehen, eine wirkliche erste Interaktion nicht zustandekommen, da Frankenstein unfähig ist, über die Erscheinung seines Geschöpfs hinwegzusehen. Denn es verhält sich nicht monströs – der „grin [that] wrinkled his cheeks“ (ebd.) wirkt harmlos, die ausgestreckte Hand könnte auch die eines Kindes sein, die nach dem Elternteil greifen will. Denn nichts anderes ist die Kreatur in diesem Moment: ein unschuldiges, unerfahrenes Kind. Vielleicht ist es geschaffen und nicht geboren worden, aber es muss dennoch lernen, zu gehen, sich zu ernähren, zu kleiden, zu sprechen und zu lesen.
Victor Frankensteins Reaktion hat mich immer noch mehr fasziniert – besser: frustriert – als die Reaktion der anderen Menschen2 auf die Kreatur (die alle zumeist noch negativer als Frankensteins ausfallen). Denn nicht nur lässt er sich ebenfalls von dem Aussehen der Kreatur überwältigen und einschüchtern; indem er flieht, weigert er sich, Verantwortung für sein Schaffen zu übernehmen. Obwohl ein inhärent hilfloses Wesen vor ihm auf dem Tisch liegt, gilt sein erster Gedanke sich selbst: „For this I had deprived myself of rest and health.“ (Shelley 58) Es entsteht der Eindruck, dass Frankenstein nie über die Konsequenzen seiner Schöpfung nachgedacht hat – immerzu ging es nur darum, sich zu beweisen, es tun zu können. Über die Schöpfung hinaus ist er nicht bereit, das Wesen zu begleiten. Stattdessen lässt er zu, dass der Kreatur der ungefilterte Hass der Menschen entgegen strahlt, der wiederum die Kreatur korrumpiert. Frankenstein jedoch sieht sich nur in der Opferposition, als er seinen Bruder, seinen besten Freund, seine Versprochene wegen dem Monster verliert … oder vielmehr wegen sich selbst, der sich weigerte, Verantwortung zu übernehmen. Er schwört, Rache an dem Monster zu nehmen, ohne die Monster zu erkennen, die in ihm selbst und in seinen Mitmenschen lauern.
Ich glaube fest daran, dass Klassiker aus einem Grund überleben: Weil sich in ihnen eine mehr oder weniger große Anzahl an Themen, Konflikten, Gedanken findet, in denen man sich selbst oder die eigene Gegenwart widergespiegelt findet. Bereits in Mary Shelleys Gegenwart fand die Entwicklung statt, dass „over time Mary‘s hubristic Dr. Frankenstein almost entirely disappeared from public awareness; by the 1840s, the word ‚Frankenstein‘ had become synonymous with ‚monster‘“3, eine Semantik, die sich auch heutzutage noch hartnäckig hält.
Frankenstein fasziniert mich aus vielerlei Gründen, die nicht zuletzt über den Text hinausgehen und Mary Shelley betreffen; es fasziniert mich, weil es mich dazu gebracht hat, mich mit der Definition von Menschlichkeit auseinanderzusetzen und mich daran erinnert hat, dass viele Dinge innerhalb meiner Kontrolle liegen (müssen) – aber auch, weil Viktor Frankenstein genauso wenig über die Konsequenzen seines Schaffens wusste, wie es unserer Gesellschaft in vielerlei Aspekten (ja, ich denke vor allem an das Internet bzw. soziale Medien) geht.
Mein Essay für die Uni endet mit der Überlegung, dass die Definition von Menschlichkeit fließend ist, abhängig von gesellschaftlichen Normen und Werten. Es ist nur der Ansatz einer Antwort, der, der sich für mich vor all diesen Monaten am richtigsten anfühlte. Aber vielleicht sind mir Antworten gerade auch nicht so wichtig, weil ich sehr dankbar für all die Fragen bin, die der Text in mir aufgeworfen hat.
Weiterführende Lektüre
„Weiterführende Lektüre“ ist hierbei ein sehr weit gefasster Begriff: Neben einer Biographie über Mary Shelley und ihre Mutter findet sich in diesen Empfehlungen eine Geschichte, die parallel zu Frankenstein spielt, eine, die Raum- und Zeitgrenzen völlig sprengt, und eine, die sich bemüht, den Teil der Geschichte zu erzählen, der in Frankenstein nicht berichtet werden konnte.
Romantic Outlaws – Charlotte Gordon
Dieses Buch habe ich schon öfter erwähnt und nicht zuletzt hier ausführlicher rezensiert, deshalb will ich mich an dieser Stelle kurz halten: Wenn ihr bis über das kleinste Detail über Mary Shelleys Leben und das ihrer Mutter, Mary Wollstonecraft, lernen wollt, dann greift zu Romantic Outlaws. Charlotte Gordon hat diese Doppelbiographie mit unglaublich viel Liebe und Detailtreue geschrieben, sodass es sich beinahe wie Fiktion lesen lässt. Wie sie selbst sagt:
Literary women, no matter how extraordinary, do not usually attract much attention. Sometimes, I accept this, but when it comes to Wollstonecraft and Shelley my ire gets up, as well as a certain proselytizing impulse. Wollstonecraft and Shelley have important lessons to teach us. How can we not have heard of them? (Charlotte Gordon, Quelle)
Zweifellos 5 von 5 Sternen. Ob man es an einem Stück oder häppchenweise liest oder sich an Stichworten entlang hangelt – Romantic Outlaws ist in jedem Sinne eine Bereicherung.
This Monstrous Thing – Mackenzi Lee
Dieses Buch lag zu meiner Schande fast ein ganzes Jahr lang auf meinem SuB – gekauft hatte ich es nur, weil ich in meinem Lee-Rausch fest entschlossen war, auch so bald wie möglich ihr Debüt zu lesen. Gut, dass mich die Thematik dann auch noch zu interessieren begann. This Monstrous Thing könnte man als eine Art Parallelerzählung zu Frankenstein beschreiben. Die Geschichte spielt in 1818 und es geht um Alasdair, der seinen Bruder Oliver vom Tod zurückgeholt hat – indem er Teile seines Körpers neu zusammensetzte und andere austauschte, sodass er halb Maschine, halb Mensch ist … sich aber mehr wie ein Monster fühlt. Zwar ist Oliver der Einzige, der so zurück ins Leben gerufen wurde, aber allgemein gibt es mehr dieser Clockwork-Menschen – und es gibt mindestens genauso viele Menschen, die diese aufgrund ihrer Ersatzteile für mehr Monster als Mensch halten …
Ich bin nicht enttäuscht von This Monstrous Thing, weil ich keinerlei Erwartungen an das Buch hatte. Man merkt, dass es Mackenzi Lees Debüt ist, und zwar daran, weil man sieht, wie viel besser sie es einfach in ihren späteren Büchern macht. Einen wirklichen Kritikpunkt habe ich nicht einmal an dem Buch, außer, dass mir der Protagonist irgendwann mit seiner extremen Naivität, die eigentlich fast nur ein Plot Device sein konnte, gehörig auf die Nerven ging. Der Rest der Geschichte konnte mich, bis auf ein paar Szenen am Ende, nie wirklich packen. Es ist jedoch cool, dass Mary Shelley auch als Figur auftritt, darüber hinaus gibt es einen lesbischen Nebencharakter und der Protagonist entscheidet sich bewusst gegen eine romantische Beziehung, was man auch nicht so oft sieht? Das hat es dann zumindest ein bisschen revidiert. (Und an diesen Punkten merkt man auch, dass es ein Lee-Buch ist.) 3 von 5 Sternen. Kann man lesen, muss man aber nicht.
The Monsters We Deserve – Marcus Sedgwick
Als ich von diesem Buch hörte, konnte ich nicht anders, als es quasi sofort vorzubestellen. Es klang fast zu gut, um wahr zu sein – obwohl ich gar nicht sagen könnte, wonach genau es „klang“. Es ist nämlich sehr schwierig, eine Inhaltsangabe zu The Monsters We Deserve zu schreiben, denn ich bin mir selbst nicht sicher, was ich gelesen habe. Es verwischt sämtliche Ebenen – Fiktion, Realität, Fiktion, Realität, vielleicht sogar Autofiktionales oder will Sedgwick nur, dass man das denkt?
Ich habe das Buch innerhalb eines halben Tages verschlungen; oft lief mir ein Schauer über den Rücken, die Zeichnungen und Fotografien haben ihren Teil dazu beigetragen. Mary Shelley taucht auch hier wieder auf. Der Protagonist übt Kritik an Frankenstein, teils berechtigt, teils nicht, wenn man mich fragt, dann wiederum erschließt sich eine Deutung des Buchs, der ich so zustimmen würde. Sedgwicks Schreibstil ist durchgehend wunderschön, geradezu atemberaubend. Dann wird wieder alles durcheinander geworfen und man weiß nicht recht, was der Protagonist gerade durchmacht, was ist echt, was nicht?
Ich habe nur einen wirklichen Kritikpunkt an dem Buch und der ist, zwecks Spoilern vage ausdrückt, der: Ich bin mir nicht ganz sicher, ob der Protagonist der richtige war, um diese Geschichte zu erzählen. Aber da ich noch nie etwas wie The Monsters We Deserve gelesen habe, ist das vermutlich diskutabel. 4 von 5 Sternen, mit starker Tendenz nach oben.
The Dark Descent of Elizabeth Frankenstein – Kiersten White
Als sich die Idee für diesen Beitrag in meinem Kopf immer stärker manifestierte, wusste ich, dass ich The Dark Descent of Elizabeth Frankenstein ebenfalls lesen und hier besprechen müsste. Und obwohl ich seit Monaten an diesem Beitrag arbeite, bin ich nicht zu diesem Buch gekommen, habe es mir nicht einmal gekauft – ich bin einfach gerade nicht im richtigen Headspace, um Whites Teil der Geschichte zu lesen, weiß, dass mir das Buch aktuell nicht so gut gefallen würde wie zu einem anderen Zeitpunkt, weil es mich gerade nicht reizt. Aber das werde ich nachholen – und dennoch möchte ich ein paar Worte über das Buch verlieren, so absurd das klingen mag.
The Dark Descent of Elizabeth Frankenstein widmet sich, wie der Titel schon anklingen lässt, Elizabeth, in der 1818er-Version die Cousine Victors, in der 1831er-Version eine Waise, die von den Frankensteins aufgenommen wird. Nett ausgedrückt: Sie und Victor haben eine innige Beziehung zueinander, sind von Kindheit an dazu bestimmt, zu heiraten. Weniger nett ausgedrückt: Elizabeth verbringt einen Großteil ihres kurzen Lebens damit, auf Victor zu warten, sich um ihn zu sorgen, und, tja, wegen ihm zu sterben. Damit beleuchtet White nicht nur die Geschichte eines Nebencharakters, der in Frankenstein nicht wirklich zu Wort kommt, außer, um Victor zu beruhigen, sondern erlaubt überhaupt einer weiblichen Figur, den Raum einzunehmen, der ihr in Shelleys Original verwehrt wird.
Kiersten White selbst sagt in diesem Interview (das ich euch nur ans Herz legen kann):
The women in Frankenstein exist to be destroyed by the men and monsters around them. Which, in retrospect, was very true to Mary’s life. Her mother died shortly after childbirth, and her father was cold and distant. Percy’s first wife committed suicide. He couldn’t get custody of his children from that union, so he left them behind. Mary’s niece Allegra—the illegitimate daughter of Mary’s stepsister and Lord Byron—died in the convent where he disposed of her. At least one miscarriage nearly killed Mary, and three of Mary’s four children died in their infancy.
In short, everywhere she looked, men were failing women. And yet, where else could they turn but to the men in their lives?
All this made me look closer at Elizabeth Lavenza, Victor’s doomed bride. She’s taken in by the Frankensteins and given to Victor as a gift. What would that do to a girl? How would that shape her, knowing everything in her life was owed to another? That her very survival was dependent on the whims of a boy her own age?
Obwohl ich glaube, dass es keine falschen Interpretationen und falschen Meinungen per se gibt, erschaudere ich immer ein bisschen, wenn mir zu Ohren kommt, dass Mary Shelley vorgeworfen wird, ihrer Mutter, der berüchtigten Feministin Mary Wollstonecraft, mit Frankenstein nicht gerecht zu werden. Es ist durchaus auf dem ersten Blick verwundernd, befremdlich, dass alle Perspektiven in Frankenstein von Männern eingenommen werden, dass Frauen, wenn überhaupt, zu Randfiguren reduziert sind und noch dazu … naja, sterben. Sie sind bewusst feminin, immer die Daheimgebliebenen, die für Victor und wegen ihm leiden. Dennoch schließe ich mich nicht nur Whites Aussage oben, sondern auch Charlotte Gordon an, die in ihrer Einleitung zur dieses Jahr erschienenen 1818er-Ausgabe schreibt:
At first glance, Frankenstein may not seem to have much in common with A Vindication of the Rights of Woman [Anm.: Mary Wollstonecrafts Hauptwerk], nor does it seem to share many of Wollstonecraft‘s ideals, but one can detect Wollstonecraft‘s influence from the missing elements of the novel. […] Ultimately, the absence of strong women holds the key to Frankenstein‚s main themes. When women are not allowed to have a voice, or to play important roles in society, Mary implies, loss ensues. Unchecked male ambition will lead to destruction, injustice, and devastation.4
Letzte Worte
Jetzt habe ich diesen Beitrag mit über 2500 Wörtern gefüllt und immer noch das Gefühl, an der Oberfläche gekratzt zu haben. Aber die Intention war von Anfang an, einen Überblick zu bieten; Vollständigkeit anzustreben gliche sowieso einer Hybris, die der Victor Frankensteins nicht unähnlich wäre.
Während der langen, langen Entstehungsphase dieses Beitrags habe ich Frankenstein ein zweites Mal gelesen, ironischerweise wieder für die Uni. Es hat mich in vielerlei Hinsicht noch mehr mitgerissen, in anderer Hinsicht noch wütender gemacht. Meine Ansichten sind mittlerweile etwas eingefahren, könnte man sagen – während eine Dozentin im Seminar meinte, dass „wir“ alle auch irgendwie Mitleid für Victor empfänden, wollte ich am liebsten vehement den Kopf schütteln und protestieren (es sagt vermutlich einiges über das Seminar aus, dass ich das nicht gemacht habe). Ich bin längst nicht mehr so akademisch-abgeklärt unterwegs, wie ich es beim Schreiben des Essays war. Zu viel von Mary Shelleys Lebensgeschichte ist in meinem Kopf, und ich kann das Buch meistens nicht betrachten, ohne die Frau dahinter miteinzubeziehen. Eine Frau, deren Vater ihr das Lesen mit Hilfe des Grabsteins ihrer Mutter beibringt. Eine Frau, die sich mit sechzehn Jahren Hals über Kopf in Percy Shelley verliebt, England verlässt und mit sämtlichen gesellschaftlichen Konventionen bricht. Eine Frau, die mit siebzehn Jahren ihr erstes Kind gebärt – und nur wenige Tage später verliert. Die insgesamt drei von ihren vier Kindern verlieren wird, ohne Unterstützung von Shelley, der vorrangig den Verlust seiner Muse betrauert. Sie ist zwanzig, als Frankenstein anonym veröffentlicht wird; als nach einigen Jahren ihr Name auf dem Cover steht, wird sie dafür verhöhnt. Schließlich verliert sie ihren Mann an dessen Unvorsichtigkeit, die ein wenig an Victor Frankensteins erinnert.
Doch egal, was ihr in den Weg gestellt wurde – trotz der Lästerei der Gesellschaft, trotz dessen, dass sie immer und überall verstoßen und ihr Steine in den Weg gelegt wurden, gab sie nie auf. Es gab Niederlagen, die sie in die Knie zwangen; doch stets, egal, wie lange es dauern mochte, stand Mary Shelley auf.
Und schrieb weiter.
Literaturverzeichnis
Im Fließtext unter Angabe der Seitenzahl wird zitiert: Mary Shelley: Frankenstein. London 2003.
1: Ausführlicheres in dem Aufsatz von Patrick Brantlinger: Race and Frankenstein. The Cambridge Companion to Frankenstein. Hg. v. Andrew Smith. Cambridge 2016, 128-142.
2: Auch Percy Shelley schien sich bei dem Lektorat von Marys Text von seinen eigenen Ansichten mitreißen zu lassen: „He tended to see the creature as more monstrous and less human, changing her word “wretch” to “devil” […] and introducing the description of the creature as “an abortion” […].“ Anne K. Mellor: Making a „monster“: an introduction to Frankenstein. The Cambridge Companion to Mary Shelley. Hg. v. Esther Schor. Cambridge 2003, S. 9-25. Hier S. 15.
3: Charlotte Gordon: Romantic Outlaws. The Extraordinary Lives of Mary Wollstonecraft & Mary Shelley. London 2015, S. 470.
4: Charlotte Gordon: Introduction. In: Frankenstein. The 1818 Text. New York 2018, S. vii-xxiii. Hier S. xxi.
9 Kommentare
Es ist schon witzig, gerade heute habe ich einen Beitrag gepostet, in dem ich sage, dass ich Frankenstein lesen will und dann veröffentlichst du sowas. Zuerst einmal bewundere ich dich für die Arbeit, die in diesen Essay geflossen sein muss; mir hat nach dem Lesen der Kopf mindestens genauso geraucht, wie bei den Texten für die Uni. Ich würde es großartig finden, weiterhin so schlaue, zum Nachdenken anregende Beiträge von dir zu lesen, aber natürlich nur, wenn du es zeitlich einrichten kannst. So macht Lernen viel mehr Spaß. (Ich hoffe sehr, dass mein Queer Studies Seminar mit der konkreten Diskussion von Werken ebenfalls so gut wird, wie dieser Beitrag.)
Was Frankenstein angeht bin ich noch Laie, ich habe lediglich das Buch im Regal stehen und werde hoffentlich in den nächsten Tagen dazu kommen, es anzulesen. (Aber wenn ich ehrlich bin wird das wohl mit der Ankunft von Kingdom of Ash – Montag! – wieder in den Hintergrund rücken.) Dein Beitrag hat mir nicht nur nützliche Hintergrundinformationen zum Werk selber geliefert und zur Autorin, er hat mich auch beeinflusst, sodass ich hoffentlich etwas kritischer an den Text heran gehen werde. Denn wahrscheinlich hätte ich von den unterschwelligen Themen und Strömungen eher wenig mitbekommen, da ich es ja ohne wissenschaftlichen Kontext lese. Nun, ein bisschen wissenschaftlichen Kontext habe ich Dank dir dann doch. 🙂
Ein wirklich toller Beitrag, den ich unbedingt nach dem Beenden von Frankenstein nochmal lesen muss. Mindestens!
Aaach, vielen, vielen lieben Dank für diesen unglaublich tollen Kommentar – mir ist gerade so richtig das Herz aufgegangen 😀 Es freut mich insbesondere, dass dir das Format zusagt, das war ja doch ein bisschen ein Experiment auf meiner Seite, es ist interessant/kompliziert, eine Balance zwischen dem Uni-Sprachniveau und dem eines Blogposts zu finden, aber ich hätte super Lust, das in der Zukunft irgendwie zu wiederholen. (Zumindest, wenn ich in ein Thema genug eingearbeitet bin und den Eindruck habe, dass ich tatsächlich auch was mehr oder weniger Kluges zu sagen habe.)
Ich habe auf Twitter schon von deinem Queer Studies-Seminar gelesen und ich meine, WIE COOL IST DAS DENN. Habt ihr bestimmte Werke, die ihr da besprechen werdet? Ich hoffe allemal für dich mit, dass das Seminar genauso cool ist, wie es klingt 😀
Wie bei allen Dingen ist das hier Dargestellte ja nur meine Sicht des Sachverhalts, aber ich bin gespannt, wie du das beim Lesen empfinden wirst, ob dir das Buch zusagt und was für Meinungen du dir bilden wirst. 🙂 (Nach KoA dann :P)
Wow! Ich fühle mich gerade sehr… inadäquat, um auf diesen Blogpost zu antworten, ABER rate mal, wer dieses Semester ebenfalls „Frankenstein“ für die Uni lesen muss. IT‘S ME.
Vielleicht erinnerst du dich noch daran, dass ich, als du das Buch das erste Mal gelesen hast, kommentiert habe, dass ich es auch vor Jahren mal damit versucht, aber nicht wirklich hineingefunden habe. Nachdem du so davon geschwärmt hast, bin ich aber doch wieder neugierig geworden und habe überlegt, es nochmal mit der Geschichte zu versuchen. Als dann die Lektüre für meinen Literaturkurs verkündet wurde, muss ich zugeben, dass ich mich richtig gefreut habe :D.
Die Chancen stehen gut, dass ich nach dem Lesen noch mal zu diesem Post und der Biografie zurückkehren werde. Vielleicht kann ich dann auch inhaltlich ein bisschen mehr dazu sagen!
Bisher kann ich jedoch nur sagen, dass ich schwer beeindruckt bin. Da hast du echt einen wahnsinnig tollen Beitrag geschrieben. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie viel Aufwand das war (andererseits ist es ja aber kaum Aufwand, wenn man sich so sehr für ein Thema interessiert :)).
Alles Liebe
Aileen
Ach Quatsch, ich habe nur einmal den Nerd raushängen lassen, haha. 😀 Und das ist quasi schon eine Eingebung des Schicksals, dass du jetzt Frankenstein für die Uni lesen musst/darfst – richtig, richtig cool! Ich bin gespannt, wie dir der Roman gefallen wird. 🙂
Aber vielen, vielen Dank! Freut mich, dass ich dich etwas anstecken konnte 😀 Aber du hast recht – es steckt zwar einiges an Zeit in dem Beitrag, aber das habe ich beim Schreiben (und Überarbeiten … und noch mehr Überarbeiten :D) echt nicht gemerkt. Hoffentlich kann ich ein derartiges Format in der Zukunft noch mal mit Inhalten füllen ?
Alles Liebe
Isabella
Hi Isabella,
schöner Beitrag! Ich muss mich mal länger mit Msry Shelley beschäftigen, due Doppelbiographie hört sich sehr interessant an.
Bist du auch an filmischen Adaptionen von Frankenstein interessiert? Dann kann ich dir Penny Dreadful (vor allem die ersten beiden Staffeln) empfehlen. Da werden verschiedene literarische Charaktere wie Dracula, Van Helsing, Frankenstein usw. zusammen geworfen, aber die Adaption von Frankenstein ist die beste. Ich will nicht zu viel verraten – aber es geht auch um ein weibliches „Monster“ und wirft definitiv feministische Fragestellungen auf. 😉 Außerdem spielt die Serie West World in der ersten Staffel die ganze Zeit mit dem Frankenstein-Motiv.
Am Roman selber hat mich zum einen das ewige Selbstmitleid Victors genervt, wie du ja auch anmerkst, zum anderen fand ich es einfach nicht gut erzählt, muss ich leider sagen. Wie das Monster durch Beobachten Sprechen und Umgangsformen lernt, oder im Wald über drei Bücher stolpert, mit denen es lesen lernt? Bisschen einfach. Dass alles sehr vorhersehbar ist, liegt wohl an den heutigen Lesegewohnheiten. Ich habe mich leider durchweg gelangweilt. Einzig den Monolog des Monsters in den Alpen fand ich interessant.
Klar tut das dem Einfluss, den die Motive im Roman haben, keinen Abbruch. Aber als Weltliteratur fand ich es enttäuschend.
LG, Sabine
Liebe Sabine,
vielen Dank für den Tipp! Ich habe mal die erste Folge von Penny Dreadful gesehen, die mich nicht umgehauen hat, weswegen ich die Serie bisher nicht weiterverfolgt habe – anscheinend muss ich das Ganze ein zweites Mal versuchen, denn die von dir beschriebene Frankenstein-Adaptation klingt absolut genial! 🙂
Hmmm, ich verstehe teilweise, was du meinst. Manche „Zufälle“ sind einfach sehr groß – dass Victor ausgerechnet auf Henry trifft, dass das Monster zufällig über William stolpert etc. (Das kritisiert Sedgwick auch in „The Monsters We Deserve“.) Die Lernfähigkeit des Monsters habe ich nie hinterfragt, vielmehr hat sie mich beeindruckt – dass es sich so eloquent präsentieren kann und dennoch nur auf sein Aussehen reduziert bzw. deswegen gefürchtet wird. Bisher habe ich das so interpretiert, dass Victor eben ein Wesen geschaffen hat, das sich selbst Dinge aneignen, diesen Kindern innewohnenden Lernprozess übernehmen kann. Mir erschien das zumindest nicht abwegig, aber ich kann verstehen, dass man es auch anders auslegen kann. (Gerade die Lektüre der Kreatur, Milton und die Leiden Werthers sind auch Bücher, die Mary und Percy Shelley bewegt haben und die sie zusammen rezipiert haben.)
Alles Liebe
Isabella
Oh wow, ich will gar nicht wissen wie viel Arbeit es gewesen sein muss diesen Beitrag zu schreiben, aber ich finde ihn unglaublich gelungen und du hast mich tatsächlich ein wenig dazu motiviert mir Frankenstein mal genauer anzusehen. Ich tue mich mit Klassikern häufig eher schwer, aber ja, was soll ich sagen, du kannst sehr überzeugend sein 😀
Wobei ich auch sagen muss, dass mich auch gerade die weiterführende Literatur, die du aufgelistet hast interessiert, insbesondere Romantic Outlaws. Ich bin noch am Überlegen in welcher Reihenfolge ich die Werke lesen möchte, erst Biographie und dann Frankenstein oder andersherum, aber im Moment tendiere ich fast dazu mit der Biographie anzufangen, Mary Shelley klingt nach dem, was ich bisher über sie gelesen habe nämlich wie eine ziemlich spannende Persönlichkeit. This Monstrous Thing habe ich natürlich auch auf der Wunschliste, aber das liegt vor allem daran, dass es halt von Mackenzi Lee ist und dass ich die Autorin liebe weißt du ja 😀 Allerdings scheint es ja bei weitem nicht an ihre anderen Bücher ranzukommen, das habe ich jetzt schon öfter gelesen, weshalb ich es auf meiner Prioritätenliste mal ein wenig nach unten verfrachtet habe.
The Monsters We Deserve klingt ebenfalls unglaublich spannend, aber halt auch wie ein Buch, für das man ein wenig Vorwissen mitbringen muss? Ich hatte schon in deinen Insta Stories gesehen, wie cool das Buch aufgemacht ist und auch der Wechsel zwischen Fiktion und Realität klingt unglaublich spannend, aber gleichzeitig irgendwie auch wie etwas, an das ich mich momentan nicht heran traue 😀
Jedenfalls fand ich deinen Beitrag zu Frankenstein richtig cool, total informativ für Leute wie mich, die sich mit dem Werk gar nicht auskennen und im Ernst, ich muss mich gerade stark davon abhalten eine Amazon Bestellung zu tätigen, weil eigentlich wollte ich gerade ausnahmsweise mal keine neuen Bücher mehr kaufen 😀
Alles Liebe,
Katharina
Vielen lieben Dank, das hört man doch gerne 😀 Ich hab auch oft Berührungsängste mit Klassikern, kann das aber langsam dank meinem Studium überwinden – generell finde ich aber, dass man es oft hilft, wenn man ein bisschen an die Hand genommen wird und weiß, wo man mehr Ressourcen findet etc. Demnach hoffe ich auch, in der Zukunft noch einmal so einen Beitrag zu fabrizieren; ja, es ist viel Arbeit, aber auch irgendwie super spaßig. 😀
Mit Romantic Outlaws anzufangen, ist eine ziemlich gute Idee! Es ist bestimmt toll, mit Frankenstein anzufangen, wenn man bereits weiß, in welchem Kontext es entstanden ist und welche Thematiken man dort (und in anderen Werken Shelleys) wiederfindet. Du brauchst nicht wirklich Vorwissen für The Monsters We Deserve, aber ich würde behaupten, dass es wesentlich mehr „Spaß“ macht, wenn man zumindest eine grobe Ahnung von Frankenstein hat. 🙂
Noch mal vielen Dank für deinen lieben Kommentar, hat mich sehr gefreut, dich zu einer fast-Bestellung verführen zu können 😀
Alles Liebe
Isabella
Hallo Isabella,
ich hab jetzt deinen Post nicht komplett durchgelesen, um mich nicht zu spoilern, aber nachdem ich vorher nur vage mit dem Gedanken gespielt habe, dieses Buch zu lesen, hast du mich jetzt gerade überzeugt, das definitiv mal zu tun. 😀 Auf jeden Fall klingt aber auch dein Essay unheimlich spannend!
Liebe Grüße
Dana