Messebericht: Die Leipziger Buchmesse 2019

In die diesjährige Leipziger Buchmesse bin ich so Hals über Kopf reingestolpert: Gerade noch die Hausarbeiten fertiggestellt, auf nach Leipzig. Rausgestolpert bin ich mit einer verschleppten Erkältung. Aber immerhin gibt mir das genug Zeit, um diesen Post zu verfassen.

Irgendwie hat meine Messe unter zwei Schwerpunkten stattgefunden: Feminismus und Sprache. Wieder und wieder fand ich mich bei Veranstaltungen wieder, die das eine oder das andere, meistens aber beides thematisierten. Gerade im Vergleich zum letzten Jahr könnte der Unterschied nicht krasser sein – meine Interessen haben sich völlig verschoben. Aber dazu (hoffentlich) mehr in einem baldigen Blogpost. Dieser Beitrag hier wird wahrscheinlich eh lang genug, demnach versuche ich, mich auf‘s Wesentliche zu beschränken:

Donnerstag, 21. März

Im Gegensatz zum letzten Jahr hatte ich zwar dieses Mal gleich daran gedacht, den Presseeingang zu benutzen, aber dass ich meine Akkreditierung validieren lassen muss, ist mir natürlich prompt mal wieder entfallen. Tja. Third time‘s the charm, ne? ¯\_()_/¯

Rechtzeitig kam ich allerdings noch zu dem Gespräch Heimat und Fremde, an dem Fatma Aydemir, Albrecht Selge und Julia Trompeter teilnahmen und über ihre aktuellen Romane (im Falle von Aydemir die Anthologie Eure Heimat ist unser Albtraum) sprachen, die sich alle irgendwie mit dem Heimatbegriff auseinandersetzen bzw. diesen problematisieren oder gar ablehnen. Schon eine Woche vorher hatte ich Fatma Aydemir zusammen mit Mitherausgeber_in Hengameh Yaghoobifarah in der Unistadt lesen hören und war begeistert von den beiden und ihrer Eloquenz. Während mich Selges und Trompeters Beiträge weniger einnehmen konnten, ertappte ich mich bei Aydemir beim Nicken. Auf die Frage, warum alle Autor_innen der Anthologie den Heimatbegriff ablehnen, sagte sie, dass dieser besonders in dieser erzwungenen politischen Verwendung des Heimatministeriums problematisch sei: „Vage Wörter eignen sich nicht so gut für politische Institutionen.“

Danach hörte ich Gunther Geltinger zu, der aus seinem neuen Roman Benzin las. Das Buch reizte mich hauptsächlich, weil es darum um ein schwules Ehepaar in einer offenen Beziehung geht, das versucht, auf einer Afrikareise sein Verhältnis irgendwie wieder zu kitten – Geltinger sagte, sie hätten die Sprache der Zweisamkeit verloren. Ich hatte darüber hinaus den Eindruck, dass er mit dem Thema ausreichend vertraut ist: Zum Beispiel wies er darauf hin, dass Outings immer noch nötig sind und stets über die Sexualität definiert werden, womit nicht-heterosexuelle Menschen automatisch stärker sexualisiert werden. Mir persönlich sagte der Schreibstil überhaupt nicht zu – wenn euch allerdings das Thema interessiert, könnte es sich durchaus lohnen, einen Blick in dieses Buch zu werfen.

Als Nächstes ging es zu der Diskussion Weiblich schreiben – von Frauenthemen und Männerkompetenz, die … ernüchternd war. Die Sprecherinnen (leider ist nur Zoë Becks Name auf der Messe-Website vermerkt, die anderen habe ich mir nicht notiert) wiesen darauf hin, dass beispielsweise im Bereich des Sachbuchs 80% der erscheinenden Bücher von Männern geschrieben wurden. Grundsätzlich erscheinen Frauen mehr in Genreliteratur und in Taschenbüchern, werden meist auch in gewisse Genres (wie bspw. Regionalkrimis) gedrängt, weil sie für andere als ungeeignet erachtet werden. Es wurde sogar ein Beispiel genannt, wo eine Frau, die ein Sachbuch über Erdöl geschrieben hat, von einem namhaften Verlag gefragt wurde, ob es das nicht denn auch von einem Mann gäbe. Darüber hinaus wiesen die Sprecherinnen darauf hin, dass Frauen sowohl Männer als auch Frauen lesen, das im Gegenzug aber nicht der Fall sei – man müsse bei den Männern erst eine Bereitschaft, zuzuhören, wecken.

Der Rest des Tages lässt sich schneller zusammenfassen. Erst war ich bei einer Vorstellung zu Brechts Berlin, einem Fotoband, der quasi aufzeigt, welche Relevanz Berlin für Brecht hatte bzw. wie dieser die Stadt geprägt hat. Da ich dieses Semester allerdings ein Brecht-Seminar hatte, war ich mir nicht sicher, ob mir das Buch genug bieten könnte, und ich huschte weiter zu der Lesung aus Schamlos, bei der zwei der Autorinnen, Nancy Herz und Sofia Nesrine, zugegen waren. Unglaublich sympathisch!

Zuletzt landete ich bei Booklights – Besondere Verlage im Rampenlicht, eine Veranstaltung von LovelyBooks, bei der Autor_innen aus unabhängigen Verlagen ihre Bücher vorstellten. Dort blickte ich auch irgendwann nach rechts und stellte fest, dass sich stillheimlich Friederike neben mich gesetzt hatte, eine schöne Überraschung. Mir sind besonders zwei Autor_innen im Gedächtnis geblieben: Julia Rothenburg mit Hell/Dunkel und Mathijs Deen mit Unter den MenschenHell/Dunkel scheint eine leise Erzählung zu sein: Nach Jahren trifft ein Geschwisterpaar wieder aufeinander, die Schwester ist bei der sterbenden Mutter geblieben. Sie wissen, dass es nicht mehr lange dauern kann, aber sie sind dennoch in dieser Schwebe gefangen, zwischen ihnen all die verstrichenen Jahre. Unter den Menschen wirkt dazu auf mich wie ein krasser Gegensatz, ein bisschen wie (verzeiht mir das) Bauer sucht Frau nur … in charmant? Der Protagonist Jan hat nämlich alleine einen riesigen Hof, also packt er eine Annonce in die Zeitung. Wil meldet sich auf die Annonce – und sie hat andere Pläne …

Freitag, 22. März

Am Freitag stellte sich die Messeroutine ein, rückblickend war es ganz klar mein liebster Tag. Ich kam etwas zu spät zu dem Gespräch To read, or not to read… Kleine Sprachen mit großen Literaturen im Zeitalter der Digitalisierung. Ich hatte mir unter dem Titel irgendwie etwas anderes vorgestellt, hätte aber darauf kommen können, dass es bei der Zukunft des Lesens auch irgendwie darum geht, wie man dieses bei den Nachwuchsleser_innen fördert. So sagte eine Teilnehmerin, dass man Kinder für Themen, nicht für Medien (Buch, eBook, Videospiel, etc.) begeistern solle. Eine andere ergänzte, dass Entwicklungen bei Büchern – hin zu „vereinfachten“, weniger Aufmerksamkeit erfordernden Formaten zum Beispiel – nicht negativ zu bewerten seien. Priorität (und da stehe ich ganz dahinter) sollte am Ende des Tages sein, dass Literatur so vielen Menschen wie nur möglich zugänglich ist, also nicht exklusiv(er) wird.

Als Nächstes las Miriam Mandelkow aus Nach der Flut das Feuer, der neusten von ihr übersetzten Essay-Sammlung James Baldwins, die bei dtv erschienen ist. Der Text sagte mir zu, aber die Lesung an sich war sehr stockend und zog sich dadurch etwas in die Länge.

Im Anschluss nistete ich mich beim taz-Stand ein. Da las zuerst Erica Fischer aus Feminismus Revisited, einem Buch, das zur einen Hälfte aus autobiographischen Anekdoten, zur anderen aus Interviews besteht. Die 76-Jährige gehört zu den Mitbegründerinnen der Wiener Aktion Unabhängiger Frauen in 1973, hat sich damals stark feministisch engagiert und dann ein wenig in den 90ern und den 00ern den Kontakt dazu verloren. Jetzt hat sie mehrere Feminist_innen interviewt und deren Ansichten mit ihren eigenen kontrastiert oder ergänzt. Grundsätzlich ist ihr Anliegen, so viel von den „Jungen“ wie nur möglich zu lernen. Mir hat ihr Auftreten ungemein imponiert – so eine kluge Frau, immer noch unglaublich willig, dazuzulernen und zuzuhören. Eine Ausgabe von Feminismus Revisited legte ich mir wenig später zu.

Nach Erica Fischer sprach Jagoda Marinic über ihr Buch Sheroes. Neue Held*innen braucht das Land. Ich fand das Gespräch faszinierend, aber ganz konnten mich weder Marinic noch ihr Buch überzeugen.

Wo wir bei Personen sind, die mich nicht überzeugen konnten: Heinrich Breloer ist eine davon. Er hat die neuste Bertolt Brecht-Doku gedreht, die drei Stunden umfasst. Zusammen mit drei Freund_innen versuchte ich, diese Doku noch vor der Messe zu schauen, wir gaben aber nach zwei Stunden auf. Während der erste Teil sich ausschließlich (ausschließlich) auf Brechts Liebschaften bezieht, setzt der zweite Teil Ende der 40er ein und ignoriert Brechts Exilzeit vollkommen. Ich hoffte, dass Breloer dafür eine gute Erklärung liefern konnte, aber er meinte nur, dass das Exil in der Buchversion thematisiert werden würde. Cool. ¯\_()_/¯ Zusammen mit der Aussage, dass Brecht das Beste aus Steffin herausgeholt habe (anstatt sich vielleicht einfach einzugestehen, dass sämtliche Frauen um Brecht ihn am Ende des Tages den Arsch retteten), war mir der Dude einfach unsympathisch.

Unglaublich sympathisch waren mir dafür Anna Gien und Marlene Stark, die Autorinnen von M., einem Buch, von dem ich niemals erwartet hätte, dass ich es in die Hand nehmen würde – es geht um die Protagonistin M., die diese ganze Mann-Frau-Hierarchie kurzerhand umdreht und Macht über Männer ausübt. Nicht nur hatte ich den Eindruck, dass Gien und Stark sich viele Gedanken über die Lesung per se gemacht hatten, sondern es war mir auch unglaublich sympathisch, wie sie dem Moderator Rede und Antwort standen – und Kontra gaben. Ich konnte nicht widerstehen, kaufte mir ein Exemplar und ließ es mir gleich signieren.

Wenn ich dem Messefreitag ein Stichwort verpassen müsste, dann das: empowering.

Samstag, 23. März

Nachdem ich Freitagabend noch mal einen Blick auf das Programm geworfen und entschieden hatte, dass dieses mich für den kommenden Vormittag irgendwie so überhaupt nicht reizte, setzte ich mich in die Gegenrichtung der überfüllten Messe-Bahnen und fuhr kurzerhand in die Leipziger Innenstadt. Immerhin wollte ich nicht Jahr für Jahr die Buchmesse besuchen und die Stadt links liegen lassen.

Kurz nach dreizehn Uhr traf ich dann wieder auf der Buchmesse  ein, um, Überraschung, noch einmal Erica Fischer sprechen zu hören. Das Gespräch gefiel mir noch besser als das erste, weil das Publikum einfach großartig war: Es war voll von älteren Frauen und Männern, die ich immer wieder nicken sah, und es war einfach ein unglaublich cooler Moment. Nach dem Gespräch schlich ich mich nach vorne und schnappte mir ein Autogramm (wie üblich habe ich mich auch nur minimal blamiert).

Anschließend verbrachte ich eine Stunde mit einer Freundin in der Sonne – muss auch mal sein! Im Gegensatz zu der letzten Messe meinte das Wetter es dieses Jahr nämlich mehr als gut mit uns und mutete uns frühlingsreife Temperaturen zu.

Danach ging es schon zur vorletzten Veranstaltung des Tages, zu einer Diskussion zum Thema Macht Sprache mächtig?, die für mich ein absolutes Highlight war. Neben Fatma Aydemir (ich sagte ja: Fangirl) diskutierten Luise Pusch, die quasi die feministische Linguistik begründet hat, und Lea Sauer, eine Literaturwissenschaftlerin, die zu neuen Formen des Flaneurs forscht, mit. Angeleitet wurde die Diskussion von Mohamed Amjahid, dem Autor von Unter Weißen, der ja mal so was von sympathisch ist! Besser aufgestellt hätte die Runde für mich gar nicht sein können. Bei der Diskussion um gendergerechte Sprache, von Gegnern oft als „Genderwahnsinn“ abgewertet, wurde gesagt, dass man ganz klar Prioritäten setzen müsse: Dann ist die Sprache eben lieber inklusiv als ästhetisch. Lea Sauer erklärte, dass gerade im Bereich der Flanerie-Forschung eben nur die männliche Perspektive untersucht wurde, die gar nicht erst in Betracht zieht, dass für viele die Stadt kein Ort zum Schlendern ist, sondern eine Bedrohung darstellt: Was ist mit safe spaces für marginalisierte Flanierende? Nach der Hälfte kam Friederike dazu, als die Diskussion beendet war, meinte sie nur zu mir, dass sie wünschte, sie hätte alles mitgekriegt.

Euphorisch gingen wir zu der letzten Veranstaltung für den Tag: Kenah Cusanit las aus Babel, einem Buch, um das ich schon seit Wochen herumschleiche. Zugegeben war die Moderation etwas befremdlich (ich hatte nicht den Eindruck, dass der Moderator Cusanit völlig ernst nahm), aber Cusanit konnte mich voll und ganz für sich einnehmen. Sie selbst nannte Babel eine „Ausgrabung mit literarischen Mitteln“, und ich plane, auch noch die Lesung von ihr, die in meiner Unistadt stattfindet, mitzunehmen.

Sonntag, 24. März

Da ich sonntags schon immer nachmittags heimfahre, mussten Prioritäten gesetzt werden. Eine davon war Svenja Gräfen, die ihren neuen Roman Freiraum (erscheint am 29. März) vorstellte. Ich hatte das Buch vorher schon gekauft und in der Wartezeit reingelesen und das sympathische Auftreten der Autorin bestätigte mich nur in dieser Entscheidung. Nach der Lesung bat ich sie, mein Buch zu signieren, war verhältnismäßig wenig awkward unterwegs und düste dann gleich weiter zu den Bloggersessions.

Ich erwischte als Erstes die Diskussion Das Ende der Blogs? Rezensionen auf den Social-Media-Kanälen, an der unter anderem Anabelle von Stehlblueten und Torsten Woywood, der für Social Media und Online-PR beim Dumont-Verlag zuständig ist. Alle Teilnehmenden waren sich einig, dass „klassische“ Blogs nicht aussterben werden, da sie immer noch das geeigneste Medium für längere Texte sind. Anabelle fügte hinzu, dass es darum ginge, neue Themen zu finden. Interessant, wenn auch wenig überraschend, war der Hinweis darauf, dass auch Bücher, die ausschließlich bei Instagram „hergezeigt“ werden, maßgeblich, wenn nicht sogar mehr, zu Verkäufen beitragen können.

Nach einer eher enttäuschenden Session zum Thema Blog 4.0, die nichts Neues bieten konnte, kam noch ein kleines Highlight: Der Rechtsanwalt André Stämmler hielt einen Vortrag über Recht für Blogger, der wirklich erhellend war. Nicht nur war es ein guter Überblick, was man hinsichtlich DSGVO, Datenschutz, Urheberrecht und Co. beachten muss, ich verstand auch endlich mal, was ich in den Wochen vor der DSGVO so verzweifelt versucht habe umzusetzen. Auch auf seinem Blog gibt es viele Beiträge zu den Themen.


Tja, das war meine Buchmesse in a nutshell – ich habe definitiv einiges gelernt und mich in vielem bestätigt gefühlt. Besonders hat die Messe dieses Jahr dazu beigetragen, meine Bloglust auf ein Neues zu entfachen und mir Ideen zu Beiträgen zu geben, die über die üblichen Rezensionen und Rückblicke hinausgehen. Hoffentlich werde ich euch also in den nächsten Wochen ein paar frische Inhalte bieten können.

Wart ihr auch auf der #LBM19 und wie hat sie euch gefallen? Und wenn ihr daheimgeblieben seid, was war bei euch literaturtechnisch in letzter Zeit so los?

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2 Kommentare

  1. Toller Bericht! Das klingt als wärst du auf vielen interessanten Veranstaltungen gewesen, die ich auch gerne mitgekriegt hätte. Dein Bericht ist ganz anders als die die ich von anderen so lese, aber ich hätte es genauso gemacht und mir eher Vorträge angehört als jedes Bloggertreffen mitzunehmen. Ich bin gespannt was du zu deinen gekauften Büchern sagen wirst. 🙂

    1. Dein Kommentar ist Musik in meinen Ohren, ich hab nie Ahnung, ob der Messebericht noch für jemand anderen außer mich interessant ist 😀 Daher danke! 🙂 Bisher haben sich die mitgenommenen Bücher als gut bis sehr gut entpuppt, aber ich bleibe auch gespannt 😀

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