Limberlost von Robbie Arnott

Tasmanien, Mitte des 20. Jahrhunderts: Neds ältere Brüder sind zum Kriegsdienst eingezogen worden. Nun dehnt sich vor dem 15-jährigen Ned ein langer Sommer mit seinem Vater und seiner Schwester auf ihrer Apfelfarm Limberlost aus. Voller Sorgen und Hoffnung – aber auch voller Träume. Denn insgeheim wünscht sich Ned ein eigenes Boot. Also fängt er an, Kaninchen zu fangen und ihre Felle zu verkaufen, tätig zu sein im Angesicht der unsicheren Zukunft. Im Laufe des Sommers wird er Entscheidungen treffen und Erfahrungen machen, die ihn für den Rest des Lebens prägen werden.

Die Geschichte eines Sommers …

Ganz ehrlich: Mir fehlen ein wenig die Worte.

Eigentlich passt das ganz gut zum Protagonisten dieses besonderen Romans: Der 15-jährige Ned hüllt sich nämlich gerne in Schweigen. Nicht, weil er nichts zu sagen hätte, meistens sogar, weil er einiges sagen könnte – zum Beispiel, dass er von einem eigenen Boot träumt, dass er sich nachts ausmalt, wie er die Segel setzt und zurück zu der Flussmündung fährt, an die er eine frühe Kindheitserinnerung mit seinem Vater und seinen Brüdern hat. Er könnte genauso gut von der Liebe sprechen, die in der Wärme der Erinnerung steckt, oder auch von dem Stolz, den er sich zu verdienen erhofft. Aber man kann es Ned auch nicht verübeln, dass er nichts davon über die Lippen bringt, scheint es seinem Vater doch genauso zu gehen – und ist es nicht ohnehin schon verwirrend genug, in diesen Zeiten erwachsen zu werden, in denen sich von Tag zu Tag alles zu ändern scheint.

Mir fehlen auch ein wenig die Worte, weil es schwierig ist, Limberlost mit einer bloßen Inhaltsangabe gerecht zu werden. Ja, Robbie Arnott erzählt die Geschichte von Neds Leben, aber wer erwartet, stringent oder gar chronologisch durch sein Leben geführt zu werden, wird enttäuscht. Das wäre, nebenbei bemerkt, auf den knapp dreihundert Seiten auch wohl kaum zu stemmen. Stattdessen geschieht etwas viel Schöneres: Limberlost erzählt Neds Lebensgeschichte anhand eines schicksalsreichen Sommers. Wochen voller Arbeit und Hitze und Scheitern, aber auch Wochen voller Glück und Leichtigkeit und eine tiefe Verbundenheit mit der Natur. Von der ersten Seite an konnte ich gar nicht anders, als Ned ins Herz zu schließen, seine Erfolge zu feiern und mit ihm zu bangen. Arnott braucht keine großen Worte, um Bilder und Stimmungen zu erzeugen, und entwickelt gerade dadurch eine unvergleichliche emotionale Wirkmacht.

… und die Geschichte eines Lebens

Damit ist Limberlost einerseits eine klassische Coming-of-Age-Geschichte und geht andererseits darüber hinaus, indem wir erfahren, wie sich Ned mit 25, 30, 35 Jahren an ebendiesen Sommer erinnert – und dabei deutlich wird, wie prägend diese Wochen für ihn waren. Diese Abschnitte sind wesentlich kürzer und umreißen Neds aktuelle Lebenssituation oftmals in wenigen Sätzen, was vielleicht mein einziger Kritikpunkt an diesem Buch ist. Manchmal hätte ich gerne noch mehr von einer Figur oder einem Lebensabschnitt erfahren. Als wäre es nicht so schon schwer genug gewesen, mich von der Romanwelt zu verabschieden.

Mit Sorgfalt und Zuwendung schildert Arnott die tasmanische Landschaft: Wallabys und Farne, Beutelmarder und Eukalyptusbäume, ganz gewöhnliche Pferde und ungewöhnliche Flussströmungen nehmen eine geradezu plastische Qualität an, in der jeder Moment durch schiere Lebendigkeit zum Zerreißen gespannt ist. Es ist eine Landschaft, die immerzu in der Veränderung begriffen ist, durch die Zyklen der Natur wie durch den Eingriff des Menschen, wenn ein älterer Ned zum ersten Mal von einer neuen ›Technik‹ – es handelt es sich um Pestizide – erfährt. In der Rückschau ist man immer klüger: Ein Allgemeinplatz, der in Limberlost mit emotionaler Bedeutung aufgeladen wird. Nicht, dass es dadurch leichter wird, über den Roman ohne Plattitüden zu schreiben.

Denn: Im Kern handelt Limberlost von Liebe. Zwischen Eltern und Kindern, Menschen und Tieren, von romantischer und platonischer Liebe, von der Liebe zur Natur, von der Suche danach und der Unmöglichkeit, sie zu fassen. Sie verbirgt sich hinter Neds Wunsch vom eigenen Boot genauso wie in den stummen Beratschlagungen zwischen Vater und Tochter und der Sorge um ein lahmendes Pferd. Man kann gar nicht anders, als sich bei der Lektüre davon anstecken zu lassen. Ein besonderes, augenöffnendes und bewegendes Buch, in das ich vollkommen eingetaucht bin – und das mich dabei in eigene Erinnerungen und Empfindungen zurückführte. Ganz klare Empfindung!

Limberlost ⚬ übersetzt von Nikolaus Hansen ⚬ Hardcover: 288 Seiten ⚬ Berlin Verlag ⚬ 24€ ⚬

Herzlichen Dank an den Berlin Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars!

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