Kennt ihr das, wenn ihr ein Buch einfach genau zur richtigen Zeit lest? Wenn die Umgebung passt, die Stimmung, die Atmosphäre – und all das mit dem Inhalt des Buches harmoniert? So ging es mir mit All These Beautiful Strangers, das ich zu 100% auf Yvonnes Empfehlung hin gekauft habe:
Es ist ne Mischung aus The Secret History & The Interestings mit ner Prise Life & Death Brigade aus den Gilmore Girls 😀
— Yvonne (@ThatYvo) 17. Juli 2018
Das vorweg: Recht hatte sie.
In All These Beautiful Strangers geht es um die siebzehnjährige Charlie, deren Mutter vor zehn Jahren spurlos verschwunden ist. Jetzt geht sie auf eine Elite-Schule und will ihre Vergangenheit einfach nur hinter sich lassen – doch ihre Vergangenheit lässt sie nicht los, und als sich die Gelegenheit anbietet, mehr über die Familiengeheimnisse zu lernen, greift Charlie zu. Schon bald muss sie sich neben der Bewältigung des Schulalltags und der Initiation in einen Geheimbund ihrer Vergangenheit stellen …
Und wenn ihr noch mehr Gründe braucht, um dieses Buch zu lesen, dann bitteschön:
1. Es ist nicht perfekt, aber verflucht unterhaltsam.
Ich weiß, ich weiß. Im Titel steht „perfekte Sommerlektüre“ – und das ist es auch: Perfekt für diese Jahreszeit (oder die Jahreszeit eurer Wahl), und perfekt, wenn man gut unterhalten werden will. Aber es ist ein Buch, das am Ende des Tages zu einem Großteil aus reichen und anderweitig privilegierten Leuten besteht, die einen Großteil ihrer Probleme schlichtweg aus dem Grund haben, weil sie reich und verwöhnt sind. Noch dazu sagen viele Charaktere – die Protagonistin Charlie nicht ausgenommen – unglaublich viele engstirnige, privilegierte Dinge.
Full Disclaimer: Da ich All These Strangers als Hörbuch gehört habe, kann es gut sein, dass mir nicht alles aufgefallen ist; kleinere Seitenhiebe sind mir jedenfalls nicht im Gedächtnis geblieben, aber ich glaube, dass nichts schwerwiegend problematisch ist – „lediglich“ engstirnig. Die einzige Aussage, an der ich mich immer noch störe, ist diejenige eines Nebencharakters, der Charlie sagen musste, dass sie nicht „wie andere Mädchen ist“, was ganz im Ernst in Neuerscheinungen nach 2015 verboten sein sollte oder so, weil das so was von ausgelutscht ist. Charlie akzeptiert das „Kompliment“ schließlich, nachdem besagter Charakter noch mal ausführt, warum sie so anders ist, etc. Das Ganze wird besonders absurd dadurch, dass Charlie an einer anderen Stelle absoluten, aus heiterem Himmel kommenden Feminismus auffährt, aber okay, okay.
Was ich damit sagen will: Man muss sich wirklich darauf einlassen, dass die Leute in diesem Buch sich größtenteils ihre Probleme selbst schaffen, und dass sie sich in einer anderen Sphäre befinden. Zumindest ist der Rest des Buches so gut, dass es sich lohnt, darüber hinwegzusehen.
2. Es ist in seiner Konventionalität unkonventionell.
Ja, ich weiß, gerade habe ich euch noch weismachen wollen, dass das Buch in einige Klischeefallen tappt. Tut es auch. Dann bricht es an anderen Stellen allerdings so gekonnt die Regeln, dass ich am liebsten applaudieren wollte.
Hier kann ich nicht zu viel verraten, ohne zu spoilern, deshalb ein paar (mehr oder weniger) vage Andeutungen: Charlie hat mich in ihrer Eigensinnigkeit, in ihrem Einfallsreichtum und in ihrer Unabhängigkeit schlichtweg beeindruckt. Auch wenn sie ihre Privilegien voll und ganz auslebt und nicht immer (= selten) moralisch einwandfreie Dinge tut, kann man gar nicht anders, als mit ihr zu fiebern und zu hoffen, dass sie die Antworten bekommt, nach denen sie so verzweifelt sucht. Ebenfalls hat mich das Ende beeindruckt – es könnte nicht besser zur Geschichte passen, ist aber auch wieder ein wenig … eigen.
3. Man kriegt nicht nur Charlies Perspektive, …
sondern, haltet euch fest, die ihrer Eltern, die jetzt distanziert und abweisend (Charlies Vater Allister) oder verschwunden (Charlies Mutter Grace) sind. Ihre Storylines bewegen sich jedoch nicht in Charlies Gegenwart (2017), sondern in der Vergangenheit, 2007 und früher. Und ich dachte anfangs noch, dass es sich dabei um Füllerkapitel handelt – konnte den Sinn dahinter kaum verstehen. Aber oh, ich hatte nicht die geringste Ahnung!
Die Perspektiven von Charlies Eltern zeigen eben, dass es sich hierbei um etwas Größeres handelt, das nicht nur über Charlie, sondern sogar über ihre Eltern hinausreicht. Wir lernen Grace und Allister kennen, bevor sie sich selbst kennen; wir erfahren mehr über die Ereignisse, die letztlich Charlies Gegenwart bestimmen.
Das wirklich Faszinierende daran ist, dass sich die drei Geschichten ergänzen und überlappen. Manchmal findet Charlie etwas heraus, das dann in der Geschichte ihrer Mutter oder ihres Vaters wieder auftaucht; manchmal werden in der Perspektive eines Elternteils Hinweise gestreut, die wiederum bei Charlie dann ihre volle Bedeutung entfalten. Alles ergänzt sich und ergibt ein wunderbares, rundes Bild.
4. Das Hörbuch.
Okay, ich habe a) wenig Ahnung von Hörbüchern und kann b) nicht von der Printausgabe sprechen. Aber das Hörbuch an sich ist unglaublich gelungen – Allister, Charlie und Grace haben jeweils eine eigene Sprecherin bzw. einen eigenen Sprecher, die schaffen, jedem Charakter seine ganz eigene Note zu verpassen.
5. So viele Plottwists.
Ohne Witz. Immer, wenn man glaubt, dass man etwas entschlüsselt hat, immer, wenn man denkt, dass es ziemlich offensichtlich ist, haut Elizabeth Klehfoth die nächste Überraschung raus. Als Print hat das Buch über 500 Seiten, was für einen Contemporary echt lang scheint, aber von mir aus hätte es ruhig noch mehr haben können. Die Geschichte ist nicht nur packend, sondern erhält durch all die Familienmitglieder (und restlichen Charaktere) solch eine Bandbreite, dass ich zwischenzeitlich nicht wusste, wie all diese Stränge jemals zusammengeführt werden sollten. (Und dann umso beeindruckter war, als die Autorin das Gegenteil bewies.)
Es ist einfach grandios, wie verstrickt der Plot ist – wie alles irgendwie zusammenhängt und zuweilen doch nichts so recht Sinn zu ergeben scheint. Mir ist (mehrmals) passiert, dass ich in der Öffentlichkeit unterwegs war und laut nach Luft geschnappt oder (leise) fluchte, weil ich nicht glauben konnte, was gerade passierte. Das Hörbuch eignet sich also auch wunderbar, wenn ihr eure Mitmenschen amüsieren wollt. Aber im Ernst jetzt – es ist so genial, was für ein Fingerspitzengefühl Klehfoth bereits bei ihrem Debüt beweist.
Fazit
All These Beautiful Strangers ist eines dieser Bücher, die man am liebsten so schnell wie möglich inhalieren möchte. Was gerade anfangs wie eine Geschichte voller privilegierter Kinder wirkt, die echt viel Mist bauen, entwickelt sich bald zu einer packenden Spurensuche, die sich auf Charlies Familie und überhaupt ihr Umfeld ausweitet. Allein für den Suchtfaktor (aber auch für vieles anderes) möchte ich eine Empfehlung aussprechen; allerdings solltet ihr bereit sein, dem ein oder anderen Klischee zu begegnen.
All These Beautiful Strangers ⚬ 512 Seiten (Taschenbuch) / 14 Stunden (Hörbuch*) ⚬ Penguin Books ⚬ Einzelband ⚬ ca. 7,99€* (Print)
2 Kommentare
Okay, ich hatte von dem Buch noch nie etwas gehört, aber All These Beautiful Strangers klingt einfach richtig gut und genau nach etwas, das mir gefallen würde, beziehungsweise bin ich immer auf der Suche nach Büchern, die genauso klingen, wie das, was du hier beschrieben hast 😀 Jetzt weiß ich jedenfalls, was ich mir von meinem nächsten Audible Guthaben holen werde, also danke dafür 😀
Freut mich, dass ich dich neugierig machen konnte 🙂 Ich hoffe, es kann dich ebenfalls überzeugen!