You are (not) safe here von Kyrie McCauley

Content Warnung: (explizite Darstellungen) häuslicher Gewalt, Sexismus

Inhalt

Die Kleinstadt Auburn wird von Krähen belagert, und es werden immer mehr. Während die Stadt sich Gedanken darum macht, wie sie die Tiere wieder loswerden, lauert im Falle der siebzehnjährigen Leighton die Bedrohung im eigenen Haus: Es ist ihr Vater, der ihr, ihrer Mutter und ihren zwei Schwestern mit gewaltvollen Wutausbrüchen das Leben zur Hölle macht. Nach ihrem letzten Schuljahr würde Leighton am liebsten die Stadt hinter sich lassen, kann das ihren Schwestern zuliebe aber nicht tun. Denn es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Situation eskaliert …

Meine Meinung

You are (not) safe here hatte ich ehrlich gesagt nicht wirklich auf dem Schirm gehabt, bis ich vom dtv Verlag damit überrascht wurde. Titel und Cover machten den Eindruck eines Psychothrillers auf mich, aber als ich den Klappentext las, wurde ich hellhörig: Es wird explizit erwähnt, dass das Buch von häuslicher Gewalt handelt. Was die Krähen damit zu tun haben und wieso das Päckchen vom Verlag ebenfalls ein paar schwarze Federn beinhaltete, erschloss sich mir noch nicht ganz. Ich würde jedoch schnell merken, dass der erste Eindruck eines Psychothrillers gar nicht so falsch lag – nur mit dem Unterschied, dass die Gefahr nicht von außen, sondern vom Inneren kommt. Von einem Ort, den man eigentlich mit Geborgenheit verbinden sollte, zumindest mit einer gewissen Art von Sicherheit: das eigene Zuhause.

Wann immer das Thema in den Nachrichten auftaucht, ist die fast unmittelbare Reaktion der Leute, die Situation herunterzuspielen. Nach Ungereimtheiten zu suchen. Sich zu fragen, wie es sich auf die Männer auswirkt, wenn wir plötzlich alle den Frauen glauben, die sagen, dass sie misshandelt wurden oder Angst haben.

Kyrie McCauley: You are (not) safe here. München 2020, S. 265.

Aber häusliche Gewalt ist eben nicht nur rohe Gewalt. Es geht dabei um Aushandlungen von Macht, um Abhängigkeitsverhältnisse, und in den meisten Fällen ist sie damit unmittelbar mit Geschlechterfragen verknüpft. McCauley arbeitet diese Komplexität beeindruckend auf, indem sie nicht grundsätzlich gegen Männer polemisiert oder Frauen in den Schutz nimmt, sondern die gesellschaftliche Reaktion auf Fälle häuslicher Gewalt (gegen Frauen) und damit sowohl die Rollen von Männern (im Sinne toxischer Männlichkeit) als auch von Frauen (als Mittäterinnen1) hinterfragt. Sie schreibt nicht nur von den Tätern, sondern auch von denjenigen, die bei häuslicher Gewalt wegschauen und denjenigen, die es kleinreden. Allein damit gewann das Buch schon einen Platz in meinem Herzen.

Was passiert, wenn du kleinen Jungs jeden Tag sagst, dass sie die Besten sein müssen? Die Schnellsten, die Größten, die Stärksten. Vielleicht sagst du, sie müssen die Mutigsten sein, als ob das besser wäre. Als ob sie dann nicht ihre Angst tief in sich vergraben, nur um dich zufriedenzustellen.

Kyrie McCauley: You are (not) safe here. München 2020, S. 105.

Überhaupt gefiel mir, wie reich das Buch an Diskussionsstoff ist. Leighton setzt sich im Rahmen ihres Literaturkurses und ihrer Tätigkeit bei der Schülerzeitung mit diversen Klassikern, aber auch mit Krähen auseinander, wobei ihre Erkenntnisse oder Meinungen geschickt in den Text eingeflochten werden, ohne dass es plakativ wirkt. Im Gegenteil: Sie lassen sich immer wieder mit dem Geschehen rund um Leightons Vater zusammenbringen. Dadurch entsteht ebendiese Rückbindung an die oben erwähnten Diskurse, aber auch Diskussionen unter den Charakteren, wenn beispielsweise Leighton sich im Unterricht gegen einen sexistischen Kommentar ihres Mitschülers verteidigt und in der Klasse eine Feminismus-Debatte ausbricht.

Vielleicht stimmt es ja, dass Männer wie Thomas Hardy Frauen gut beschreiben, als Opfer oder Überlebende, Ehefrauen oder Töchter, Geliebte oder sogar Soldatinnen.
Aber Frauen beschreiben Frauen als Menschen.
Und Mary Shelley beschrieb Männer als Monster und dafür liebe ich sie.

Kyrie McCauley: You are (not) safe here. München 2020, S. 219.

Für die Repräsentation der häuslichen Gewalt kann ich nicht direkt sprechen, aber McCauley geht in ihrem Nachwort darauf ein, dass es sich bei You are not safe here um ein Buch handelt, das sie selbst als Jugendliche gebraucht hätte. Das liest man, finde ich, sowohl in der Darstellung der Machtkonstellationen im Haus als auch in der Hoffnung, die sich immer wieder anbahnt. Obwohl das Buch ausschließlich aus Leightons Perspektive verfasst ist, wird ersichtlich, dass es bei häuslicher Gewalt nicht damit getan ist, die Polizei zu rufen, und dass insbesondere die Partner*innen der Täter*innen diese nicht „einfach“ verlassen können, sondern komplexe Abhängigkeiten vorherrschen. Während Leightons Mutter die Entschuldigungen ihres Ehemannes wiederholt hoffnungsvoll annimmt und von Leighton noch am Anfang des Buchs gar nicht erst auf eine mögliche Trennung angesprochen werden will, ist auch das Verhältnis zwischen Leighton, ihren Schwestern und ihrem Vater nicht ausschließlich von Angst und Hass geprägt. Indem sie keine einfache Lösung anbietet, trifft die Autorin genau den Nerv.

Bei der Repräsentation der häuslichen Gewalt kommen auch endlich die Krähen ins Spiel. Klingt abstrus, doch die Antwort ist magischer Realismus. Ich hatte nicht damit gerechnet (bin eigentlich auch immer unsicher, ob ich das in Büchern mag oder nicht), war aber positiv überrascht. Lediglich zum Ende hin wurde es mir ein wenig zu viel, aber die Atmosphäre, die diese magischen Elemente durch das Buch hinweg erzeugten, war wirklich grandios und trug zu der Darstellung des Konflikts maßgeblich bei. Ich will nicht zu viel verraten, außer, dass es sich bei Leightons Zuhause um ein Haus handelt, das die Wut ihres Vaters widerspiegelt, und bei den Krähen um sehr schlaue Kreaturen, die eine größere Rolle in dem Geschehen spielen als erwartet.

Ihr merkt es schon: You are not safe here hat mich ungemein packen und begeistern (solche Verben fühlen sich bei solchen Themen immer falsch an) können. Als würde nicht all das, was ich bisher erwähnt habe, für ein großartiges Buch genügen, war ich auch unglaublich positiv überrascht von der Liebesgeschichte. Relativ bald lernen sich Leighton und das Love Interest Liam kennen, und was sich zwischen den beiden entwickelt, könnte sogar die gesündeste Beziehung sein, die ich jemals in YA gelesen habe? Sie kommunizieren darüber, was sie wollen, respektieren die Grenzen des bzw. der anderen, sie lernen sogar, miteinander zu streiten, ohne ein riesiges, toxisches Drama vom Zaun zu brechen, und Liam ist einfach eine unglaubliche Unterstützung, sobald sich Leighton ihm anvertraut. (Ich bin immer noch ein wenig baff.) Unterstützung kriegt Leighton aber nicht nur von Liam, sondern auch von seiner Familie, die sie kennen und lieben lernt, und von ihrer besten Freundin Sofia. An irgendeinem Punkt des Romans stellt man fest, dass sie ein riesiges Netz aus Liebe um sich herum hat und das löst trotz der furchtbaren Situation, die sich in ihrem Zuhause abspielt, ein seltsam wohliges, hoffnungsvolles Gefühl aus.

Dass You are not safe here Kyrie McCauleys Debüt ist, merkt man bestenfalls an kleineren inhaltlichen bzw. stilistischen Ungereimtheiten und dem minimal überstürzten Ende, was alles aber an meiner uneingeschränkten Leseempfehlung nichts rütteln kann. Sie behandelt das Thema der häuslichen Gewalt auf eine unglaublich komplexe und sensible Weise und konzipiert den Plot so geschickt, dass man das Buch kaum aus der Hand legen kann, und bringt damit eine ordentliche Portion frischen Wind in das Young Adult-Genre. Wirklich, wirklich großartig!

Fazit

You are not safe here ist ein auf jeder Ebene gelungenes Jugendbuch, das sich gelungen mit häuslicher Gewalt auseinandersetzt, dabei subtil an feministische Debatten anknüpft, von magischem Realismus Gebrauch macht und selbst die „klassischen“ Young Adult-Bereiche erfrischend umsetzt. Klare Empfehlung!

You are not safe here ○ übersetzt von Uwe-Michael Gutzschhahn ○ Klappenbroschur: 400 Seiten ○ dtv Junior ○ Einzelband ○ 14,95€

You are not safe here wurde mir unaufgefordert von dtv zugeschickt. Vielen Dank dafür!

1: Das Mittäterinnen-Konzept entsteht in Deutschland in den 80ern und verweist darauf, dass auch Frauen an der Konstitution von Macht- und Herrschaftsverhältnissen beteiligt sein können. Somit können Situationen entstehen, in denen sich Frauen (bewusst) patriarchalen Strukturen fügen, um eine augenscheinlich bessere Position zu erlangen, obwohl sie sich letztlich immer noch unterordnen. Vgl. Kathrin Meyer u. Stefanie Schälin: Macht – Ohnmacht: umstrittene Gegensätze in der Geschlechterforschung. In: Handbuch Interdisziplinäre Geschlechterforschung. Hg. v. Beate Kortendiek, Birgit Riegraf u. Katja Sabisch. Wiesbaden 2019 (Geschlecht und Gesellschaft 65), S. 135-143. Hier S. 139.

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5 Kommentare

  1. Hallöchen,
    was für eine tolle Rezension! Und du hast mich auch direkt überzeugt, das Buch steht jetzt auf meiner Wunschliste 🙂 Danke dafür!
    Liebste Grüße, Kate

  2. Hallo liebe Isabella,

    oh, wow, was für eine tolle Rezension!

    Das Cover und ehrlich gesagt auch der Klappentext haben mich noch nicht so ganz angesprochen, aber nach deiner Rezension habe ich definitiv Interesse daran, dieses Buch zu lesen, denn deine Beschreibung klingt einfach nur unglaublich gut!

    Liebe Grüße
    Dana

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