Eine Runde Ablenkungs-Empfehlungen

Das gleich vorneweg: Was die aktuelle Lage anbetrifft, bin ich privilegiert und lediglich mit wesentlich mehr Freizeit als erwartet konfrontiert. (Die ich selbstverständlich damit verbringe, zu Hause zu bleiben, um mir und anderen Menschen das Leben nicht schwerer als nötig zu machen.) Naja, und mit meinem Kopf. Mit dem bin ich auch konfrontiert. Besser gesagt: Er konfrontiert mich gerne regelmäßig damit, was alles schief gehen könnte oder wie die Lage wohl in drei Wochen aussieht und mit random Details, die absolut nicht absehbar sind. Vielleicht kennt ihr das ja.

Aus diesen Gründen versuche ich gerade verstärkt, mich darauf zu besinnen, was mir gut tut, mich ablenkt und etwas Ruhe bringt. Das bedeutet für mich, ein bisschen Routine zu haben (Lesen und Yoga morgens, einmal am Tag etwas anderes außer dem Schlafanzug tragen), mir zu überlegen, was ich an dem Tag machen möchte, und herauszufinden, wie vielen Nachrichten ich wann ausgesetzt sein möchte (daran muss ich noch arbeiten). Da bleibt allerdings noch einiges an Zeit übrig, um all die Medien zu konsumieren, die man schon immer mal schauen oder lesen oder hören oder bespielen wollte. Oder man macht es wie ich und nutzt die Lage als Ausrede, sich noch einmal Bücher zu bestellen. Deshalb möchte ich diesen Beitrag als Anlass nutzen, um ein paar Bücher, Serien etc. zu teilen, die mich gut ablenken konnten/können und die vielleicht der einen oder dem anderen von euch ebenfalls etwas Seelenfrieden bringen. Passt gut auf euch und auf eure Mitmenschen auf.

Gelesen

aus Down Girl: The Logic of Misogyny von Kate Manne

Such A Fun Age – Kiley Reid

Such A Fun Age von Kiley Reid erzählt von Emira, einer schwarzen Babysitterin, die eines Abends beschuldigt wird, Briar, das weiße Kind, auf das sie aufpasst, entführt zu haben. Dieser Vorfall bewegt die Mutter von Briar, Alix, dazu, die Dinge gerade zu rücken – Emira soll zur Familie gehören, Alix will alles dafür tun.

Man könnte sagen, dass Such a Fun Age im Kern eine Geschichte ist, die den White Savior Trope demontiert und dann noch mal mit den Füßen tritt, während er schon am Boden liegt. All das geschieht mit einer Leichtigkeit, dass man regelrecht durch die Seiten fliegt und aufgrund all des Dramas ohnehin wissen muss, was als Nächstes passiert. Reid erzählt sowohl aus Emiras als auch als aus Alix‘ Perspektive, sodass den Leser*innen die unterschiedlichen Lebensrealitäten der beiden Frauen kaum bewusster gemacht werden könnten. Während Alix mit Mitte 20 aus sich selbst eine Marke gemacht hat, die (weißen, heterosexuellen, cis) Frauen zeigen will, dass sie all das erreichen können, was sie nur wollen, steht Emira vor dem Problem, mit ihrem 26. Geburtstag darauf angewiesen sein, sich um ihre eigene Health Care kümmern zu müssen – und das geht nur mit einem ‚richtigen‘ Job, nicht den drei Tagen Babysitten pro Woche, ganz gleich, wie gut Alix zahlt. Es gelingt der Autorin sehr gut, aufzuzeigen, wie komplex – und kompliziert – beider Leben sind, sodass man nie das Gefühl hat, Karikaturen zu begegnen. Besonders begeistert hat mich Briar, die zweijährige Tochter Alix‘; erst bei ihr wurde mir so richtig bewusst, wie schwierig es ist, die Komplexität von Kleinkindern adäquat abzubilden, und dass mir das vor Such A Fun Age noch nie so gelungen begegnet ist. Das Buch ist nicht perfekt – letztlich ist es ein wenig zu lang und manche Entwicklungen vielleicht eine Spur zu stilisiert –, aber sehr unterhaltsam und gleichzeitig augenöffnend.

Such A Fun Age ○ Hardcover: 320 Seiten ⚬ Bloomsbury ⚬ ca. 15€* ⚬

Heartstopper Volume 1 & 2 – Alice Oseman

Die Geschichte von Heartstopper ist denkbar einfach: Zwei Jungen verlieben sich ineinander. Charlie ist schon länger geoutet, während Nick erst herausfindet, dass er auch Jungen mag. Nebenher versuchen sie, den Schulalltag und das restliche Leben mit all seinen Hürden zu navigieren.

Gefühlt bin ich die letzte Person, die den Comic noch nicht kennt, aber für den Fall, dass nicht: Lest! Es! Die Geschichte ist wirklich simpel, aber ungemein wohltuend, und gerade, wenn man eh schon etwas von Oseman gelesen hat (in meinem Fall Radio Silence), macht es auch sehr Spaß, das ein oder andere Gesicht wiederzuentdecken. Gleichzeitig spricht die Autorin eine Bandbreite von Themen an: Mental Health, das Hinterfragen der eigenen Sexualität, latente Homophobie, etc. Wenn ihr euch den Comic nicht kaufen möchtet (obwohl die Kindle-Version gerade nur 99ct* kostet), könnt ihr ihn auch komplett umsonst online lesen. Der zweite Band hat mir noch mal einen Ticken besser gefallen als der erste, und ich bin gespannt, wie es weitergeht!

Heartstopper Volume One ⚬ Taschenbuch: 288 Seiten ⚬ Hodder Children‘s Books ⚬ Band 1/X ⚬ ca. 10,99€* / oder umsonst online

Down Girl: The Logic of Misogyny – Kate Manne

Zu meinem Freizeit-Beschäftigungs-Plan gehört auch, ein bisschen meine eigenen (akademischen) Interessen zu verfolgen und weiter auszubauen, etwas, wofür unter dem Semester eher weniger Zeit bleibt. Demnach kann ich noch keine abschließende Empfehlung für Down Girl aussprechen, aber ich finde das Buch bisher sehr eindrücklich. Manne bringt theoretische Überlegungen und zahlreiche Fallbeispiele der letzten Jahre zusammen, um eine Definition von Misogynie vorzulegen, die Misogynie nicht länger auf ein psychologisches Problem von Individuen reduziert (und die sie darüber hinaus auch von Sexismus abgrenzt). Wenn ich Sachbücher in meiner Freizeit lese, ist es mir wichtig, dass diese wissenschaftlich fundiert sind, und an Fußnoten und bibliographischen Hinweisen hat Manne wirklich nicht gespart. Es ist kein Buch, das man schnell weglesen kann, sondern wirklich eher ein akademischer Text, wo das Sprachniveau dementsprechend fordernd ist. Hier wäre es vielleicht überlegenswert, zusätzlich die deutsche Übersetzung (erschienen bei Suhrkamp) zu konsultieren – obwohl diese preislich um einiges happiger ist. Ich hab mir für jeden Tag ein Kapitel vorgenommen, und bisher hat die Lektüre mich und mein Denken bereichert. Wer einen historischen Abriss erwartet, wird enttäuscht werden, aber diesen Anspruch erhebt die Autorin auch gar nicht. Ich glaube, dass ihre Überlegungen sowohl für reale Vorfälle als auch für literarische Untersuchungen sehr fruchtbar gemacht werden können (meine Parallel-Lektüre von The Handmaid‘s Tale bestätigt mir das regelmäßig). Bitte die 1-Stern-Amazon-Bewertungen von verletzten Männern ignorieren.

Down Girl: The Logic of Misogyny ⚬ Taschenbuch: 368 Seiten ⚬ Penguin Books ⚬ ca. 9,99€*


Ansonsten (geguckt, gehört, gespielt) …

Von Crazy Ex-Girlfriend ist gerade die vierte Staffel auf Netflix online gegangen. In der Serie geht‘s um Rebecca, die ihren Jugendschwarm Josh nach Jahren wiedersieht und das als Zeichen wertet, alles stehen und liegen zu lassen und ihm nach West Covina zu folgen. Plottwist: Josh hat eine Freundin. Das hält Rebecca aber nicht von ihrer Obsession ab – im Gegenteil. In den kommenden Wochen und Monaten geht es ihr zunehmend schlechter …

Seien wir ehrlich: Ein Großteil der Serie erweckt in einem das Bedürfnis, Rebecca zu schütteln, aber gerade das macht sie so großartig, diese schonungslose, ehrliche Darstellungen von psychischen Krankheiten und generell die Dekonstruktionsarbeit, die die Serie leistet. Die Lieder – ja, es wird gesungen, und glaubt mir, Songs wie Settle For Me oder Let‘s Generalize About Men wollt ihr nicht verpassen – tragen ihren Rest dazu bei, mit Stigmata aufzuräumen und der Romantisierung von Abhängigkeiten ein Ende zu setzen. Ich habe große Teile der Serie doppelt und dreifach (im wahrsten Sinne des Wortes) gesehen und bin sie immer noch nicht leid. Also: Falls ihr Crazy Ex-Girlfriend noch nicht kennt, könnt ihr die Serie ab sofort komplett durchsuchten.

Ebenfalls abgeschlossen ist Unbreakable Kimmy Schmidt (Netflix) – eine Serie, die eine unvergleichliche Lebensfreude versprüht. Kimmy hat die Hälfte ihres Lebens damit verbracht, von einem Fanatiker in einem Bunker eingesperrt zu sein, und als sie endlich befreit wird, wartet ein komplett neues und anderes Leben auf sie, das sie nur so vor Optimismus sprühend auf sich nimmt. Während man anfangs noch den Eindruck hat, dass die Serie vielleicht das ein oder andere auf die zu leichte Schulter nimmt, verschwindet dieser Eindruck spätestens bei der zweiten Staffel – ab hier beweisen die Serienmacher*innen, dass sie Themen wie Traumata, Sexismus, Feminismus etc. mit dem nötigen Fingerspitzengefühl angehen können, wobei die Serie nicht an Leichtigkeit verliert, sondern nur an Komplexität zunimmt.

Und falls ihr noch nicht Dracula (ebenfalls Netflix) auf dem Schirm habt: Die drei Folgen à 90 Minuten haben es gewaltig in sich. Mark Gattiss und Steven Moffat haben das Drehbuch verfasst, und wenn man Sherlock gesehen hat, erkennt die Handschrift der beiden definitiv wieder. Ich habe die Vorlage (noch) nicht gelesen, aber auch für mich war erkennbar, dass die Mini-Serie sich zunehmend mehr Freiheiten nimmt, die aber durchaus zum Gesamteindruck beitragen. Für meinen Geschmack war die letzte Folge etwas zu vollgepackt, aber im Großen und Ganzen ist die Serie unglaublich unterhaltsam, hat einen der genialsten Plottwists überhaupt und bietet sehr viel zum Entdecken. Wirklich eine Achterbahnfahrt!

Musikalisch begleitet mich aktuell Lauvs Debut-Album ~how i‘m feeling~, das mich sehr positiv überrascht hat. Von den bisher veröffentlichten Songs war ich nur teilweise Fan gewesen, aber der Gesamteindruck ist ungemein überzeugend. Wenn ihr euch doppelt ablenken wollt, könnt ihr auch Details über die Beziehung von Julia Michaels und Lauv lesen und spekulieren, wie viel davon wohl in den Liedern drin steckt – ach, nein, einen Song hat er direkt „Julia“ genannt. (Überhaupt überwiegt eine melancholische Stimmung – ganze drei Lieder haben „lonely“ im Titel und zwei weitere in den Lyrics, das ist die Antwort darauf, was ich mit meiner Freizeit anfange, ja?) Anyway. Besonders gern mag ich Lonely Eyes, Canada (mit Alessia Cara), Invisible Things und Modern Loneliness.

Zu guter Letzt habe ich angefangen, Guild Wars 2 zu spielen. Eigentlich dachte ich, ich könnte kein einziges Spiel konsequent durchhalten, aber bisher beweise ich mir mit Guild Wars das Gegenteil. Ich hatte angefangen, es verstärkt zu spielen, wenn Sorgen/Ängste/der Rest besonders überwältigend wurden, weil mich nichts so sehr ablenken konnte wie das Erkunden der verschiedenen Welten. Mein Freund kann sich auch immer sehr für die Geschichten und Hintergründe begeistern, aber dafür fehlt mir meistens die Aufmerksamkeit – doch wenn das etwas ist, das euch interessiert, könnte Guild Wars doppelt reizvoll für euch sein. Ich kenne mich mit MMORPGs, ehrlich gesagt, überhaupt nicht aus und wüsste auch nicht, wie ich das Spiel adäquat beschreiben oder herausheben sollte, ob es was kann, das andere Spiele nicht können (Quests erledigen, Monster (unblutig) bekämpfen, hochleveln, neue Welten entdecken, etc. erscheint mir doch sehr generisch, aber was soll‘s) – andere Leute können das besser erklären. Die grundständige Version ist umsonst, ihr müsst euch da also überhaupt nichts kaufen und man merkt tbh kaum einen Unterschied. Das Spiel verspricht unendlich viele Spielstunden, und was gibt‘s Schöneres, wenn man nicht weiß, wie lang man noch, social distancing betreibend, zu Hause vor dem Laptop sitzt.


Das war, zugegeben, ein für meine Verhältnisse sehr ungewöhnlicher Beitrag. Normalerweise spreche ich auf dem Blog nur über Bücher (und über Serien und Co. dann bei Queerverweise), aber besondere Umstände, besondere Maßnahmen, nicht wahr? Ich hoffe, bei dieser Mischung aus Ablenkungs-Empfehlungen ist auch etwas für euch dabei – ansonsten würde ich mich natürlich auch sehr über eure Empfehlungen freuen! Was hat euch in letzter Zeit ein paar weltvergessende Stunden beschert? ??‍?

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