Kurzrezensionen #12: Der Freund der Toten, Radio Silence, Dieser Augenblick, erschreckend und schön

In einer weiteren Runde Kurzrezensionen stelle ich euch drei Bücher vor, die neben (sehr) guten Inhalten vor allem mit einer ordentlichen Portion Coverliebe bestechen. (Man darf ja mal oberflächlich sein.)

Der Freund der Toten – Jess Kidd

Worum geht‘s?

Um Mahony, der zu seinem Geburtsort Mulderrig zurückkehrt – denn er wurde vor 26 Jahren in einem Waisenhaus ausgesetzt und muss sich eingestehen, dass seine Mutter vermutlich nicht nur verschwunden ist, sondern umgebracht wurde. Zusammen mit der ehemaligen Schauspielerin Mrs Cauley, die in einem Zimmer voller (lebendiger) Bücher lebt, und den Geistern, die Mahony immer und überall sieht, versucht er, herauszufinden, was damals wirklich passiert ist …

 

Meine Meinung

Ich griff aus drei Gründen zu Der Freund der Toten: wegen dem Cover. Weil es in Irland in 1976 (und in Flashbacks ein paar Jahre früher) spielt. Und weil die Geschichte irgendetwas herrlich Schrulliges an sich hatte. Das beschreibt das Buch im Kern schon ganz gut, und gerade durch das Hinzukommen von übernatürlichen Elementen werden die etwas seltsamen „Schwingungen“ des Buchs noch verstärkt. Ich glaube nicht, dass ich es der Autorin halb so sehr abgekauft hätte, wäre ihr Schreibstil nicht so, so gut. Ich weiß nicht, wann ich mich zuletzt so sehr in einen Schreibstil verliebt habe – manche Sätze wollte ich einfach nur wieder und wieder und wieder lesen.

Denn weder verändern sich die Toten noch wachsen sie. Sie sind bloß Echos der Geschichten ihres eigenen Lebens, falsch herum gesungen. Sie sind das Muster auf den geschlossenen Augenlidern, nachdem du etwas Helles gesehen hast. Sie sind doppelt belichtete Filme. Sie sind nicht wirklich da, weshalb Ursache und Wirkung für sie keine Bedeutung haben. – S. 204

Gleichzeitig war die Geschichte jedoch um einiges düsterer als erwartet – nicht nur die Vergangenheit ist unschön, die Gegenwart Mulderrigs ebenso, und doch fügte es sich irgendwie in das Gesamtbild dieses kleinen Ortes voller Geheimnisse ein. Es wird auch Gewalt an Tieren beschrieben, also seid vorsichtig, falls ihr Derartiges nicht lesen möchtet.

Letztendlich überzeugt Das Lied der Toten schlichtweg mit seinen Charakteren, dem Schreibstil und einfach der ganzen Atmosphäre, die es erzeugt. Dass mir manchmal der rote Faden fehlte und ich auch bei der Auflösung den großen Knall vermisste, haben mein Lesevergnügen kaum eingeschränkt; lediglich die Liebeleien Mahonys waren mir dann doch etwas zu überspitzt, fast schon unpassend kitschig. Aber wer Lust auf ein Buch in einem weniger besuchten Setting hat, das zu einem halben Krimi wird und auch bei übernatürlichen Elementen nicht einspart, ist bei Das Lied der Toten richtig.

Das Lied der Toten ⚬ übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann ⚬ Hardcover: 384 Seiten ⚬ Dumont Verlag ⚬ 20€*


Radio Silence – Alice Oseman

Worum geht‘s?

Um Frances, die einen Großteil ihrer Zeit damit verbringt, zu lernen und sich darauf vorzubereiten, nach der Schule auf eine Eliteuniversität zu gehen. Wenn sie sich eine Auszeit gönnt, dann hört sie ihren liebsten Podcast, Universe City. Dann freundet sie sich mit Aled, dem Gründer des Podcasts, an – doch als der Podcast immer beliebter wird, werden die Schattenseiten immer deutlicher … und schon bald müssen sich Frances und Aled ihrer Zukunft – und auch der Zukunft ihrer Freundschaft – stellen.

Meine Meinung

Alice Oseman ist vermutlich aktuell einer der größten YA-Geheimtipps. Obwohl ich bisher nur ein Buch von ihr gelesen habe, weiß ich einfach, dass sie die Bücher schreibt, die ich mir immer gewünscht habe, und die, wage ich zu behaupten, viele sich wünschen. Ich wusste also schon vor dem Lesen von Radio Silence, dass ich es mögen würde, und als ich es dann in weniger als zwei Tagen inhalierte und mich danach ein bisschen (sehr) durch den Wind fühlte, hatte ich gerade die Charaktere doch sehr ins Herz geschlossen. Emotional aufgewühlt habe ich folgende Liste geschrieben, was das Buch ausmacht (nur hier etwas hübscher artikuliert):

  • Das Buch tut WEH. Egal, ob man sich mit Frances identifiziert, die immer nur einen Plan hatte und dann überlegen muss, was passiert, wenn dieser Plan nicht aufgeht; oder mit Aled, der zur Uni geht, weil er glaubt, nichts anderes tun zu können; oder mit einem der anderen Charaktere, oder einen ganz anderen Aspekt – das Buch mag vielleicht 17/18-jährige Charaktere haben, aber ich wage zu behaupten, dass ihre Probleme Altersklassen übersteigen.
  • Die Charaktere benutzen alle übertrieben oft „literally“ und ich liebe es.
  • (Fast) jeder ist queer. Frances ist bi (und eine PoC), Aled demisexuell, auch schwule und lesbische Nebencharaktere tummeln sich im Buch.
  • Frances und Aled lieben sich rein platonisch, halleluja.
  • Mein einziger Kritikpunkt: Manchmal war mir das Drama zu krass, der Plot zu überspitzt. Manche Formulierungen sind sehr plakativ, was wohl damit einhergeht, dass Osemans Stil ansonsten sehr modern ist (ich meine, Frances verbringt 99% ihrer Internet-Zeit auf Tumblr und Twitter).
  • Aber die Charaktere machen einfach alles wett – Aled und Frances sind nicht nur irgendwelche 0815-Jugendliche, sondern einfach so … echt. Ihre Chats fühlen sich natürlich an, ihre Probleme sind einfach verflucht #relatable, ich vergöttere sie und will sie bis in alle Ewigkeit beschützen.

Tut mir leid. Bei der Rezension zu diesem Buch kann ich mich nicht an irgendwelche Konventionen halten.

Radio Silence ⚬ Taschenbuch: 416 Seiten ⚬ Einzelband ⚬ Harper Collins ⚬ ca. 7,99€*


Dieser Augenblick, erschreckend und schön – Marci Lyn Curtis

Worum geht‘s?

Um Grace, die die zwei Jahre nach dem Tod ihres Vaters bei Pflegefamilien verbracht hat. Erst jetzt zieht sie nach New Harbor, zu ihrem Onkel Rusty, und fragt sich, warum er so lange gebraucht hat, um sie zu sich zu holen. Vor allem ist New Harbor der Ort, an dem ihr Ex-Freund Owen und Grace‘ ehemalige beste Freundin (und Owens Schwester) Janna wohnen. Und es ist der Ort, an dem Grace vergewaltigt wurde.

Meine Meinung

Für dieses Buch möchte ich eine Triggerwarnung für Vergewaltigung aussprechen. Die Vergewaltigung wird nicht graphisch dargestellt (Grace erinnert sich nicht daran), das Thema wird aber oft und ausführlich im Buch angesprochen.

Es ist mir vollkommen unverständlich, warum nicht im Klappentext erwähnt wird, dass Grace vergewaltigt wurde. Das Buch fängt wie ein luftig-leichter Jugendroman an, und erst nach einigen Kapiteln wird enthüllt, dass Grace damals vergewaltigt wurde. Zugegeben, die Leichtigkeit, mit der der Roman erzählt wird, bleibt; dennoch verstehe ich nicht, warum niemand darauf aufmerksam macht, wo es doch ein essentieller Teil der Geschichte und von Grace‘ Entwicklung ist: die Suche nach dem Vergewaltiger, die Konfrontation, wie sie lernt, darüber zu sprechen, und entscheidet, wie sie weiter vorgeht. Ich kann nicht beurteilen, wie „richtig“ oder „gelungen“ die Repräsentation ist, aber ich war dennoch froh, zu sehen, dass der Dialog darüber im Buch nicht nur eröffnet wird, sondern auch aufgezeigt wird, wie Grace von ihrem Umfeld unterstützt wird.

Mit einem Mal bin ich Faith, die sich unerschrocken ins Unbekannte stürzt. Ich bin Eleanor, die die Wahrheit ungefiltert wiedergibt. Ich bin Janna, die ihre eigene Geschichte schreibt. Ich bin jedes Mädchen, jede Frau, jedes weibliche Wesen, das jemals auf diesem Planeten in Angst gelebt hat. Ich bin ich, und ich werde mich der Wahrheit stellen. – S. 319

Ich muss gestehen, dass ich mich darüber hinaus nicht an besonders viel von dem Buch erinnere. Ich habe es in wenigen Tagen verschlungen, da es sich, wie bereits gesagt, trotz den vielfältigen Thematiken sehr leicht lesen lässt und immer eine humoristische Note mitschwingt, da Grace eine durchaus erfrischend-sarkastische Erzählerin ist. Gleichzeitig sind mir die Nebencharaktere nur teilweise im Kopf geblieben, da ein Teil von ihnen doch eher unterentwickelt ist. Auch der Plot ist nicht der aufregendste, was aber für mich völlig okay ist – alles andere fände ich für die Geschichte, die Marci Lyn Curtis erzählen wollte, unangemessen. Der Schreibstil ist außerdem so schön, dass man sich leicht in den Worten verlieren kann, auch wenn bis zum Ende eine gewisse Distanz zwischen mir und Grace‘ Geschichte bestehen blieb, als könnte ich sie nicht ganz erreichen.

Das ist typisch ich: Wenn ich nervös bin, lasse ich in zwei Sekunden einen ganzen Game of Thrones-Roman vom Stapel. – S. 140

Dieser Augenblick, erschreckend und schön ⚬ übersetzt von Nadine Püschel ⚬ Hardcover: 416 Seiten ⚬ Einzelband ⚬ Königskinder Verlag ⚬ 19,99€*

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2 Kommentare

  1. Ich finde die Rezensionen, dafür dass es Kurzrezensionen sind, doch recht ausführlich. Vollkommen positiv gemeint. Ich habe direkt einen guten Einblick zu den Büchern bekommen.

    Neri, Leselaunen

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