Inhalt
Die Waise Rin wurde jahrelang von ihrer Pflegefamilie für den Opiumhandel eingespannt und soll nun verheiratet werden, um weiterhin von größtmöglichem Nutzen zu sein. Ihr einziger Ausweg besteht darin, einen Test zu bestehen, für den andere ihr Leben lang lernen, und daraufhin an die Sinegard Academy zu kommen – die prestigereichste Militärschule in ganz Nikara. Rin schafft es an die Academy – doch der wahre Test beginnt erst danach …
Meine Meinung
The Poppy War ist eines dieser Bücher, das eine Weile auf meinem SuB rumlag, bis ich eines Tages zufällig Lust darauf hatte, es mal damit zu versuchen – und direkt nach dem ersten Satz gehooked war. Ich liebe es, ins Geschehen geworfen zu werden, und erst nach und nach zu entschlüsseln, wo ich mich befinde, wer die Figuren sind, was vor sich geht. Gefühlt verschlang mich das Buch mit Haut und Haaren – und ich war mehr als bereit dafür.
Das Faszinierendste an The Poppy War ist mitunter, dass es sich nicht wie ein Buch anfühlt. Die Geschichte, die R.F. Kuang nur in diesem Teil erzählt, würden andere Autor_innen in zwei, wenn nicht gar drei Bände aufteilen, so viele unterschiedliche Etappen und Zeiten umspannt sie. Als wir Rin kennenlernen, ist sie 14; gegen Ende des Buches ist sie etwa 20 und scheint zuweilen ein komplett anderer Mensch zu sein.
Maßgeblich für das Buch ist die ihm zugrundeliegende chinesische Kultur bzw. insbesondere die chinesische Geschichte des 20. Jahrhunderts. Die Autorin war vier Jahre alt, als sie mit ihren Eltern aus China in die US immigrierte. Mittlerweile besitzt sie einen philosophischen Master in Chinastudien und setzt ihre Recherchen zu Ideologie, Nationalismus und Trauma in Oxford fort. (Als ob das alles noch nicht beeindruckend wäre, hat sie The Poppy War mit 22 veröffentlicht!) Diese unterschiedlichsten Einflüsse laufen in dem Buch zusammen, wenn über Seiten hinweg philosophische Diskussionen geführt und in anderen Kapiteln Militärstrategien diskutiert werden. Ganz zu schweigen zu dem Kriegsgeschehen, das sich nach und nach in das Buch einschleicht. Historische Inspiration stellt vorrangig der Zweite Japanisch-Chinesische Krieg (1937-1945) dar, insbesondere das Massaker von Nanking, das in nur sechs Wochen 200.000 Tote und 20.000 Vergewaltigte forderte.
Gerade durch diesen Hintergrund erhält das Buch eine immense Wichtigkeit – für mich persönlich war es zumindest augenöffnend, denn ich hatte bis vor kurzem noch keine Ahnung, dass ebendieser Krieg bspw. auf chinesischer Seite fast 20 Millionen Leben forderte. Beim Lesen des Buchs wurde mir schon oft anders, aber rückblickend bekommen die dort beschriebenen Ereignisse eine zusätzliche Schwere. Kuang führt wieder und wieder vor Augen, zu welch grausamen Dingen Menschen in der Lage sein können. The Poppy War beansprucht zurecht einiges an Nerven, indem es eine schonungslose Auseinandersetzung mit grausamsten Kriegsverbrechen fordert.
Durch die Strukturierung des Buchs und die verschiedenen Episoden, die ich oben schon angedeutet habe, hat man als Leser_in das Gefühl, immer tiefer in einen Strudel aus Dunkelheit und Gewalt zu geraten. Immer, wenn man denkt, dass das Geschehen nicht noch grausamer werden kann, wird es noch verstrickter, fallen die Charaktere noch tiefer. Niemand ist unschuldig, alle bewegen sie sich in Graubereichen und treffen moralisch ambigue Entscheidungen. Nicht zuletzt Rin hat mich als Protagonistin ungemein beeindruckt; sie ist nicht eine dieser Hauptfiguren, die kopflos gravierende Entscheidungen trifft. Ihre Entscheidungen – so grausam sie auch sein mögen – trifft sie bei vollem Bewusstsein, was für eine ungemein angespannte Atmosphäre sorgt. Ich schwankte zwischen Sympathie und Verurteilung, Verständnis und Abstoßung und weiß gerade nach dem Ende des Buchs nicht, wo meine Allianzen liegen würden, müsste ich mich entscheiden.
Durch das episodische Element wird man darüber hinaus stetig mit neuen Settings und neuen Konflikten konfrontiert: Von dem vergleichsweise harmlosen Einleben in die Akademie, in der es Rin aufgrund ihrer Herkunft schwer gemacht wird, bis hin zu einem gnadenlosen Krieg, in welchen die Heranwachsenden nicht auch nur ansatzweise suffizient ausgebildet geworfen werden. Dass es sich bei The Poppy War um High Fantasy handelt, merkt man schleichend; gerade auf den ersten 100-200 Seiten werden fantastische Elemente bestenfalls angedeutet. Mit der Dunkelheit steigt auch der Fantasy-Anteil, der viel aus Mythen und Spiritualität gleichermaßen zehrt, was ich persönlich noch nie irgendwo gelesen habe, was sich aber auch sehr lohnte, nachdem ich mich darauf eingelassen hatte. Die guten 500 Seiten, die das Buch misst, folgen nicht einem traditionellen Plot-Schema, sondern sind gespickt mit Höhepunkten und Depressionen, Expositionen und Katastrophen. Trotz der immensen Zeitspanne wird ein roter Faden scheinbar mühelos aufrechterhalten und Spannung kontinuierlich erzeugt – 500 Seiten fühlten sich selten so kurz und gleichzeitig so lohnend an.
R.F. Kuang sagt in einem Interview selbst über The Poppy War: „It’ll probably be the worst thing I’ve ever written, only because I want to get better and better.“ Nicht nur ist The Poppy War ihr Debüt, sondern auch das erste Buch, das sie jemals geschrieben hat. Dass es sich dabei um einen doppelten Erstling handelt, merkt man allerdings bestenfalls an kleineren Ungereimtheiten oder Schwankungen in dem Verhalten von Charakteren, die im Großen und Ganzen für mich kaum von Gewicht waren. Wenn es sich also bei diesem Buch tatsächlich um ihr schlechtestes Werk handeln sollte – meine Güte, wie genial werden dann erst die Fortsetzungen sein.
Fazit
The Poppy War ist eines der besten Bücher, das ich dieses Jahr gelesen habe. Das Buch ist zweifellos nicht etwas für jede_n und nimmt, was die Grausamkeiten des Krieges anbetrifft, kein Blatt vor den Mund. Die junge Debütantin R.F. Kuang bezieht die Inspiration für den Weltenbau maßgeblich aus der chinesischen Geschichte des 20. Jahrhunderts und enthüllt Grausamkeiten, die in Vergessenheit zu geraten drohen. Ein nahezu perfekter Einstieg in die Trilogie.
The Poppy War ○ Hardcover: 544 Seiten ○ Harper Voyager ○ Band 1/3 ○ ca. 26€*
The Poppy War erscheint am 20. Januar 2020 unter dem Titel Im Zeichen der Mohnblume – Die Schamanin bei Blanvalet für 16€*.
6 Kommentare
Um dieses Buch schleiche ich jetzt schon so lange herum und durch deine Rezension ist es gerade auf der Wunschliste um einiges nach oben gerutscht. Ich wusste zwar, dass das Buch an chinesische Geschichte angelehnt ist, hatte mich aber bisher nicht genauer damit beschäftigt, was du allerdings erwähnt hast klingt sehr spannend – und macht das Ganze irgendwie so viel düsterer und realer, dass ich noch mehr Lust auf dieses Buch bekomme. Allerdings werde ich vorher wohl noch ein bisschen recherchieren müssen 😀
Jedenfalls werde ich um dieses Buch jetzt glaube ich nicht mehr lange drum herum kommen, es juckt mir gerade so in den Fingern es mir zuzulegen 🙂
Liebe Grüße,
Katharina
Oh ja, ich stelle mir das spannend vor, wenn du quasi vor dem Lesen des Buchs die Recherchearbeit leistest – zwar kann man’s auch mühelos ohne lesen, aber vermutlich fallen dir dadurch noch mal einiges mehr an Details auf!
Ich kann mir wirklich gut vorstellen, dass es dir gefallen wird, es bringt noch mal einiges an frischen Wind in die High Fantasy-Welt! (Kommt bspw. auch ohne Liebesdrama aus :))
Alles Liebe
Isabella
Hallo Isabella,
wow, was für eine tolle und vor allem überzeugende Rezension! Am Anfang hat mich der Klappentext noch überhaupt nicht mitgerissen, aber am Ende hast du mich jetzt so weit, dass ich endlich das Buch lesen will. Gerade auch der eigene Kontext der Autorin mit ihren Studien macht das doppelt interessant, plus chinesische Inspiration, plus düster … Okay, du hast mich überzeugt. 😀 Danke. 😛
Liebe Grüße
Dana
Liebe Dana,
vielen lieben Dank! Freut mich, dass ich dich neugierig machen konnte 🙂
Alles Liebe
Isabella
Hey 🙂
Ich habe das Buch schon länger im Blick, aber dank deiner Rezension ist das Buch sofort auf meiner Wunschliste gelandet. Ich wusste schon vorher, dass das Buch an die chinesische Geschichte angelehnt ist, aber das es so intensiv ist, wusste ich dann doch nicht und das macht das Buch gleich interessanter. Endlich mal keine Fantasy, die so sehr im westlichen Raum angesiedelt ist.
Ich hoffe wirklich, dass ich bald dazu kommen werde, mir das Buch zu besorgen.
Liebe Grüße
Isabell
Liebe Isabell,
freut mich, dass ich dich neugierig machen konnte! Du hast recht, es kann gar nicht genug nicht-westernzentrierte Fantasy geben 🙂
Alles Liebe
Isabella