Schönes neues England von Sam Byers

Inhalt

Edmundsbury ist ein gesellschaftlicher Mikrokosmos: In einer Post-Brexit-Welt treiben dort skrupellose Unternehmen ihr Unwesen, rechte Politiker verfolgen ihre Agenda und Journalisten versuchen, mit der gnadenlosen Digitalisierung mitzuhalten – egal, um welchen Preis. Es dauert nicht lange, bis die bisher unschuldig wirkende Stadt von Brandherden gespickt ist …

Meine Meinung

Schönes neues England hatte ich tatsächlich erst auf dem Schirm, als ich in der Buchhandlung darüber stolperte, eine willkürliche Seite aufschlug und irgendwie mittendrin in einer Diskussion über Frauenfeindlichkeit in der Gamer-Szene landete. Diese Entdeckung ist paradigmatisch für meine Zeit mit dem Buch: Immer wieder würde ich in den kommenden Wochen darüber staunen, welche Themen Sam Byers anschneidet und wie differenziert und detailtreu er das tut. Und umso mehr ich darüber staunte, desto mehr fragte ich mich: Kann ein Buch zu klug sein?

Denn Byers versucht, verflucht viel zu erzählen. So die Geschichte von Robert und Jess, einem entfremdeten Paar. Jess ist für ihre akademischen Beiträge vielfach Zielscheibe für Drohungen geworden, Robert ist Journalist und rutscht in dem Versuch, mehr Anerkennung zu gewinnen, zunehmend in eine toxische Männlichkeit ab. Jess heißt seine Beiträge längst nicht mehr gut, erfindet aber eine Persona, anstatt es ihm persönlich zu sagen.

Dann ist da die Geschichte von Trina, einer schwarzen Frau, die polyamourös ist und in einer Wohnsiedlung lebt, die geräumt werden soll, um eine komplett neue, digitalisierte Gemeinschaft heraufzuziehen. Sie arbeitet bei einem Konzern, bei dem die Arbeit so fragmentiert ist, dass niemand so recht mehr weiß, was er oder sie tut – aber ominöse Arbeit ist immer noch besser als keine Arbeit.

Auch Hugo Benningtons Geschichte wird erzählt, ein rechter Politiker, der mit seinen Kolumnen ordentlich Rassismus schürt. Teddy an seiner Seite soll versuchen, ihn im Zaum zu halten.

Und dann ist da noch Darkin, ebenfalls ein Überbleibsel der Siedlung, ein alter Mann mit Gehbehinderung, der zunehmend bedrängt wird, auszuziehen, und bald schon von Robert in einem viral gehenden Artikel zum armen weißen Mann stilisiert wird.

Wir haben also fünf Perspektiven auf fünfhundert Seiten – fünf Perspektiven und vielfach so viele Themenkomplexe, die von Feminismus über Sexismus bis hin zu Rassismus, von Twitter über Megakonzerne bis hin zu Wohnungsfragen rangieren, die philosophische Dilemmata und Datenschutz diskutieren wollen. Es ist auch nicht so, dass Byers nicht gut damit umgeht. (Selbstverständlich kann ich nicht für alle Komplexe sprechen, aber es wirkte auf mich gut recherchiert und sensibel behandelt. Auch wenn natürlich die Frage bleibt, inwiefern ein weißer Autor sich insbesondere einer queeren PoC-Perspektive annehmen sollte.) Es wirkte nur teils zu … plakativ? Als hätte man sich bemüht, die Debatten so korrekt wiederzugeben, dass sie geradezu zu einer zweidimensionalen Anleitung wurden, wodurch die Diversität fast schon wieder erzwungen wirkte – oder als sollte diese Seidenhandschuh-Bilderbuch-Darstellung auf eine Metasatire verweisen. Natürlich könnte man dem entgegenhalten, dass es für Romane nach dem Dorfgeschichten-Schema (Edmundsbury ist kein Dorf, aber als Vorort immer noch überschaubar) gilt, die Gesellschaft im Kleinen zu spiegeln, damit große, übergreifende Probleme am Individuum verhandelt werden können und dass deswegen so verschiedene Perspektiven ergriffen werden: um alles auszuleuchten. Dennoch kann ich auch Tage später nicht das Gefühl abschütteln, dass der Umgang zu klinisch geschieht.

Gut, man könnte einwirken, dass alles plakativ-überspitzt wirken soll – schließlich wird das Buch als Satire verkauft. Eine Satire, die, nach dem, was ich in anderen Rezensionen gelesen habe, bei britischen Leser_innen auf eine überaus positive Resonanz stößt. Vielleicht war ich demnach auch einfach nicht die Zielgruppe dafür, aber … so amüsant fand ich das Buch auch gar nicht. Es gab gewiss einige Stellen, die mich zum Lachen gebracht haben, und andere, die mich packten (dem Genre entsprechend blieben die Figuren karikativ-blass, aber irgendwie riss mich Roberts und Jess’ Beziehung doch mit) oder gar schockierten. Aber einen Großteil über war ich milde desinteressiert bis gelangweilt.

Meine größten Probleme mit Schönes neues England sind nämlich leider handwerklich bedingt. Viele Diskussionen und insbesondere Gedankengänge der Charaktere sind einfach unnötiges Geschwafel, was gezielt eingesetzt gewiss eine Gesellschaftskritik ausdrückt, en masse einfach nur den Lesefluss hindert. Wenn Dinge von Charakteren so ausführlich aber gleichzeitig seltsam vage reflektiert werden, dass weder eine Erkenntnis daraus gewonnen wird noch der Plot vorangeht noch ich den ganzen Überlegungen überhaupt noch folgen kann (!), dann bin ich alles andere als darauf bedacht, zügig weiterzulesen. Generell hat das Pacing des Buches einige Probleme – es gibt so viele Füllerszenen, die man schlichtweg mit vorangehenden oder vorausgehenden hätte zusammenfassen können. Darüber hinaus finden sich in der deutschen Übersetzung, die ich las, überdurchschnittlich viele Tippfehler, die mit der Zeit den Eindruck entstehen ließen, das Buch sollte übereilt fertiggestellt werden. (Auch der deutsche Titel Schönes neues England vermarktet das Buch wesentlich anders als der Originaltitel Perfidious Albion, der weitaus treffender ist.) Allerdings ist es schön, dass das Cover übernommen wurde. Das dort abgebildete Werk lautet Babel Britain und verleiht der Geschichte eine zusätzliche Tiefe.

Gerade aufgrund der Momente, die mich mitrissen und begeisterten, hatte ich zumindest bis zum Ende noch Hoffnungen für das Buch. Leider endet die Geschichte meinen Geschmack nach viel zu abrupt – von den vielen Plotsträngen, die Byers handzuhaben versucht, bleiben doch einige in der Luft hängen. Der Eindruck, dass das Projekt vielleicht zu ambitioniert war, bleibt.

Fazit

Schönes neues England versucht, anhand eines Vorortmilieus eine umfassende Gesellschaftssatire aufzuzeigen – ein zu ambitioniertes Projekt, wenn man mich fragt, das zwar interessante Gedanken bietet und gut recherchiert ist, in seiner Vielsträngigkeit leider zu langatmig wird und lange Durststrecken mit sich zieht.

Schönes neues England ○ Hardcover: 509 Seiten ○ Verlag: Tropen ○ 24€*


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2 Kommentare

  1. Hi Isabella!

    Von dem Buch hatte ich bis jetzt noch nicht gehört, aber durch deine Rezension habe ich das Gefühl, einen richtig guten Eindruck bekommen zu haben! Danke, dass du dir die Arbeit gemacht hast 🙂

    Alles Liebe,
    Maike

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