Idol in Flammen von Rin Usami

Im Leben der Schülerin Akari ist vor allem eins wichtig: ihr Idol Masaki, Mitglied einer beliebten J-Pop-Gruppe. Sie schreibt einen akribischen Blog über ihn und verbringt ihre komplette Zeit damit, mehr über ihn herauszufinden, ihn auf Konzerten zu sehen oder Merchandise von ihm zu erwerben. Dann kommt die Schrecknachricht: Masaki soll einen Fan geschlagen haben. In den sozialen Medien ist die Hölle los. Akari blendet all das aus – und stürzt sich noch tiefer in ihre Obsession.

Ein ganz normales Fangirl?

In letzter Zeit habe ich verstärkt darüber nachgedacht, in welchem Verhältnis eigentlich Fans und Künstler*innen stehen. Es ist leicht, sich im Internet zu verlieren: Mittlerweile gibt es kaum Momente, die nicht im Digitalen aufzufinden sind. Paparazzi-Fotos mischen sich mit Spekulationen und lauten Meinungsäußerungen. Es wird debattiert, was eine Sängerin denn an einem anderen Sänger ›finden‹ könnte, ob nicht ihr Ex-Freund der bessere Mensch war, ob man nicht alle Beteiligten canceln müsste. Es werden Statements eingefordert, aber natürlich gibt es (so gut wie) nie Statements. Das Internet beruhigt sich wieder, bis das nächste Informationsfragment – oder nur die nächste abstruse Theorie – eintrudelt.

Für Akari, die Ich-Erzählerin von Idol in Flammen, ist das alles Alltag. Jede freie Minute verbringt sie damit, Informationen über Masaki zu sammeln, Interviews zu analysieren und bis ins letzte Detail auf ihrem Blog auszubreiten. Und wenn sie das nicht macht, tauscht sie sich mit anderen Fans über ihr Idol aus, oder versucht, mehr Geld zu verdienen, um sich mehr CDs oder Fotobände kaufen zu können. Für nichts anderes ist Platz, ihr restliches Leben eine leidliche Nebensache – und das ändert sich auch nicht, als die Nachricht verbreitet wird, dass Masaki einen Fan geschlagen haben soll. Akari gibt zu, dass sie »nur eins interessiert: Wie geht es meinem Idol?« (S. 5)

Idol in Flammen ist faszinierend, weil es Akaris Obsession mit einer geradezu nüchternen Sprache ausstellt und ihre Tätigkeiten somit geradezu als normal erscheinen. Damit entgeht Rin Usami geschickt einer gängigen – und überholten – Kritik von Fangirls, die oftmals als nicht handlungsfähige Masse dargestellt werden und keinerlei Fähigkeit zum kritischen Denken besitzen sollen. Akari hingegen – noch während ihr die Kontrolle über ihr übriges Leben entgleitet – entscheidet sich aktiv für ihr Idol und geht mit einer Methodik an ihr Fan-Dasein heran, dass man sie beinahe bewundern muss. Und im gleichen Moment stellt sich das Entsetzen ein, wie zum Beispiel, wenn sie zugibt: »Fast alles, was Masaki je im Radio oder Fernsehen gesagt hat, habe ich transkribiert, in über zwanzig Ordnern abgeheftet und in meinem Zimmer gelagert.« (S. 18f.) Gerade weil die Lektüre so befremdlich war, fiel es mir schwer, das Buch aus der Hand zu legen.

Moralische Grauzonen

Idol in Flammen ist ein sehr schmaler Band, eigentlich mehr Novelle als Roman, der eine knappe Zeitspanne aus Akaris Leben schildert. In dem Nachwort, das Rin Usami für die englische Ausgabe (Idol, Burning) verfasst hat, betont sie, dass sie es grausam findet, wenn ein Idol in Flammen steht, also Zielscheibe von weitreichender Kritik wird, ist doch nicht nur der Star betroffen, sondern auch Freund*innen und Familie – und vor allem die Fans. Ohne diese Perspektive (das Nachwort wurde nicht in die deutsche Ausgabe aufgenommen) hätte ich mehr gerätselt, was mir Idol in Flammen eigentlich sagen will.

Das Buch kommentiert definitiv, welche positiven Bedeutungen das Fan-Dasein haben kann. Masaki bietet Akari – deren Alltag von Depressionen und (mutmaßlich) ADHS beeinträchtigt ist – schlichtweg Halt: »Ganz alltägliche Aufgaben, die andere mit links bewältigen, fallen mir schwer, und ich mache mir ständig Sorgen um die Spuren, die meine Fehler hinterlassen. Aber eins weiß ich absolut sicher: Masakis Fan zu sein ist das Zentrum meines Lebens, die eine Konstante.« (S. 39)

Gleichzeitig wird zwischen den Zeilen auch deutlich, dass der Markt darauf ausgerichtet ist, Fans auszunutzen, die genuine Zuneigung also einer kapitalistischen Logik unterworfen ist. So muss Akari unzählige CDs kaufen, um in der nächsten Beliebtheitswahl ihrem Idol mehrere Stimmen geben zu können. Auf Konzerten finden sich Special Editions, die zu doppelten und dreifachen Käufen verleiten, und so weiter – all das nimmt Akari ohne Hintergedanken hin. Sie legt alles daran, ihre Unterstützung ihres Idols aufrechtzuerhalten, auch – oder: gerade wenn – die Realität damit eigentlich gar nicht mehr mithalten kann.

Daher habe ich Idol in Flammen definitiv auch als Appell daran gelesen, die Nuancen der Diskussionskultur zurückzugewinnen – auch wenn man das natürlich von Akaris Verhalten differenzieren muss. Doch selbst sie stellt gegen Ende des Texts fest: »Mein Idol ist ein Mensch geworden.« (S. 122) Das kann für mich persönlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Band mir doch schlichtweg zu schmal war, viele Ebenen eröffnet und diese nicht umfassend bedient hat. Dennoch wird er mir gerade deshalb noch eine Weile im Gedächtnis bleiben.

Fazit

Idol in Flammen war eine Lektüreerfahrung, die mir auch Tage später noch nachgeht. Mit ihrem prämierten Debütroman hat Rin Usami ein schonungsloses Porträt eines Fans vorgelegt, das oftmals vergessene Aspekte des Diskurses an die Oberfläche bringt: Was macht es mit einem Menschen, sein Leben auf eine Berühmtheit – eigentlich einen Fremden – auszurichten? Zuweilen fiel es mir schwer, mich in dem Text zurechtzufinden, und ich hätte mir etwas mehr Ausführlichkeit gewünscht. Dennoch würde ich das Buch empfehlen: Wenn Befremdliches und Vertrautes ineinanderfließen, ist der Blick in den Spiegel ganz nah.

Idol in Flammen ⚬ aus dem Japanischen von Luise Steggewentz ⚬ Hardcover: 128 Seiten ⚬ Kiepenheuer & Witsch ⚬ 18€ ⚬

Vielen Dank an Kiepenheuer & Witsch für das Rezensionsexemplar!

Du magst vielleicht auch

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.