None Of This Is Serious von Catherine Prasifka

Sophie ist 22 und hat gerade ihr Politikstudium beendet. Bisher hat sie keinen Job gefunden, und solange sie keinen Job findet, bleibt ihr nichts anderes übrig, als bei ihren Eltern zu wohnen und in ihrem Kinderzimmer abwechselnd ihren Lebenslauf und diverse Social Media Apps zu aktualisieren. Sie ist auf einer Party, als der crack auftaucht: ein unerklärlicher, lila leuchtender Spalt im Himmel, der bald zum meistdiskutierten Phänomen in sämtlichen Medien wird. Bei Sophie stellt sich eine Weltuntergangsstimmung ein. Vielleicht wird sich jetzt alles ändern?

Eine Welt voller Krisen

Catherine Prasfika hat es mit ihrem Debütroman nicht leicht: Ihre Biographie – Dublinerin, Literaturstudium am Trinity College, Debattier-Wettbewerbe – verleitet dazu, sie in eine Riege mit anderen irischen Autorinnen wie Megan Nolan, Louise Nealon oder Naoise Dolan zu werfen (wie es der Irish Examiner macht). Darüber hinaus ist sie die Schwägerin von Sally Rooney. None Of This Is Serious ist also bereits vielseitig konnotiert, bevor man auch nur die erste Seite aufschlägt. Dafür stellt sich ziemlich schnell eine angenehme Überraschung ein: Ja, es geht wieder um den Zustand der Welt, Kommunikationsschwierigkeiten, Identitätskrisen und – natürlich – das Internet. Aber wo die millennial fiction der anderen Autorinnen verzehrende Affären und extravagante Ausflüge auf Kosten anderer schildert, geht Prasifka einen Schritt weiter und wagt sich an die Grenze – besser: den Abgrund – der Gen Z.

I’m not sure when the internet ceased to be a place I could escape to, to get lost down rabbit holes and take care of virtual pets, but it does not offer me the same things any more. I have a feeling it’s to do with cyber and personal spaces melding, warping each other. The coping mechanisms I’ve spent a decade building up are crumbling in the modern world.

Catherine Prasifka: None Of This Is Serious. London 2022, S. 76.

Das Geschehen in None Of This Is Serious wird nicht länger von einem fragilen Zwischenmenschlichen, sondern von dem Internet dominiert. Stundenlang scrollt die Protagonistin durch die immergleichen Apps und lässt sich von Informationen überfluten. Aber selbst im angeblichen real life ist die digitale Welt nicht abzuschütteln. Eine Szene ist da besonders eindrücklich: Sophie beobachtet einen Bekannten, der eine Instagram-Story aufnimmt, die online in einem komplett anderen Kontext auftaucht. Die sozialen Medien können gar kein akkurates Bild der Wirklichkeit abbilden, weil die Wirklichkeit in ihrer Ausrichtung auf das Internet beinahe selbst unwirklich scheint. Bilder des gleichen Ereignisses addieren sich auf, ohne sich zu einem sinnstiftenden Gesamtbild zu fügen. Online-Interaktionen können wieder und wieder gelesen und geteilt und zu Tode interpretiert werden, bis sie von einer weitgehend authentischen Äußerung zu einem textbasierten Fremdkörper verzerrt werden. Sophie weiß um die Algorithmen und die Bauweise der Apps und kann sich, will sich gar nicht davon lösen: ein alternatives Leben scheint undenkbar.

Perhaps things do happen for no reason, and the universe is a chaotic and unpredictable place. Or maybe we’re sold the narrative of unpredictability because it disguises how much power certain people really have.

Prasifka: None Of This Is Serious, S. 122.

Über die Abwesenheit im eigenen Leben

Ist das Auftauchen des leuchtenden Spalts im Himmel eine Möglichkeit, den Online-Zyklus aufzubrechen, oder bestätigt sie ihn vielmehr? Die Frage lässt sich auch an die Personen richten, die in Sophies Leben einbrechen: Da ist ihre beste Freundin Grace, die Sophie ihre Gefühle vordiktiert, bis sie keine eigenen mehr ausmachen kann, wenn sie sie überhaupt jemals empfand. Oder Hannah, Sophies schönere (und auch: berufstätige) Zwillingsschwester, die in den Augen der Eltern nichts falsch machen kann, sodass Sophie aufgibt, überhaupt als Familienmitglied hervorzutreten. Und dann sind da Finn und Rory, zwei Männer, deren Gefühlswelt ebenso undurchsichtig ist wie Sophies eigene, was sie jedoch nicht davon abhält, ihr immer mehr abzuverlangen.

Überall, wo sie hinblickt, wird deutlich gemacht, dass ihre Präsenz eine reine Formalität ist: „The pressure of someone always speaking over me had taught me to not speak up for myself.“ (S. 52) Obwohl aus der Ich-Perspektive erzählt wird, ist man als Leserin Sophie fundamental fremd, weil ihre Rede nie direkt wiedergegeben wird. Nur ihre Online-Interaktionen werden wörtlich zitiert. Was sie in Dialogen anderen Menschen gegenüber äußert, lässt sich nur an deren Reaktionen, Sophies Gedanken oder vagen Umschreibungen ablesen. Sophies Identität wird damit auch formal unterminiert, setzt sich vorrangig aus einer Internet-Persona und den übrigen Menschen in ihrem Leben zusammen. Endgültige Aussagen sind unauffindbar, Endgültigkeit als Kategorie scheint sich überhaupt aufzulösen.

Zugegeben: None Of This Is Serious hat bei mir einen Nerv getroffen. Ich habe dieses Jahr kein Buch gesehen, das mich dermaßen uneingeschränkt mitgerissen und begeistert hat. Mit Blick auf die Goodreads-Bewertung von durchschnittlich 3,25 Sternen fühle ich mich da ziemlich alleine: In den Rezensionen werden die Ähnlichkeiten zu Rooney, Dolan und Co. moniert, es handele sich wieder nur um eine junge, weiße, eigentlich doch recht privilegierte Frau, die sich in einer Blase von Selbstmitleid wälzt. Wie bei den anderen erwähnten Autorinnen werden auch hier ausschweifende Diskussionen mit großen Wörtern geführt und letztlich nichts getan. Und dennoch hatte ich das Gefühl, dass das alles bei None Of This Is Serious so gut funktioniert, weil es mit scharfem Blick die Lächerlichkeit dieser Bausteine hervorhebt, ohne jemals die unterliegende Ernsthaftigkeit der Situation herunterzuspielen.  

Every woman knows another woman who has been assaulted, or raped, or harassed at work. Every single woman. But I bet if you ask a man if he knows a rapist, or a harasser, he’ll say he doesn’t. […] And we’re supposed to believe they didn’t know? I’m so sick of it.

Prasifka: None Of This Is Serious, S. 215

Auf weniger als dreihundert Seiten gelingt es Catherine Prasifka, eine grenzüberschreitende Instabilität aufzuzeigen. Überall lösen sich Gewissheiten auf: die eigene Identität (oder die Meinung anderer Leute darüber), das Fortbestehen der gesamten Welt oder auch nur die Aussicht auf bezahlbaren Wohnraum. Wie verhält man sich, wenn man mit all dem konfrontiert ist? Man lernt, sich in dem Chaos heimisch zu fühlen.

Fazit

None Of This Is Serious hat mich von der ersten bis zur letzten Seite begeistert. Catherine Prasifkas Umgang mit bereits ausführlich in der jüngeren Literatur behandelten Themen ist erfrischend ehrlich, das heißt, ziemlich ernüchternd. Und dennoch findet sich gerade darin der Trost des Romans: Wenn jemand so treffend das Gefühl einer Generation artikulieren kann, ist man immerhin nicht alleine damit.

None Of This Is Serious ⚬ Hardcover: 288 Seiten ⚬ Canongate Books ⚬ ca. 14€* ⚬


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