The Dark Descent of Elizabeth Frankenstein von Kiersten White

Content Warnung: emotionaler Missbrauch, Gewalt an Tieren

Inhalt

Als die junge Elizabeth Lavenza aus den Klauen ihrer grausamen Mutter befreit und in das Haus der Frankensteins geholt wird, um fortan die Spielkameradin Victors zu sein, erscheint ihr dies wie der Himmel auf Erden. Doch Victor ist launisch, engstirnig und oftmals wütend. Schnell macht es Elizabeth sich zur Aufgabe, ihn bei Laune zu halten, komme was wolle – denn sie kann auf keinen Fall riskieren, dieses neue Leben zu verlieren.

Meine Meinung

Auf die Gefahr hin, es einmal zu oft zu sagen: Ich bin ein großer Frankenstein-Fan. So sehr, dass ich dem Buch einen ganzen Blogbeitrag inkl. Frankenstein-Adaptionen gewidmet habe. Damals war The Dark Descent of Elizabeth Frankenstein zwar schon erschienen, doch ich hatte es noch nicht gelesen. Jetzt, über ein Jahr später, habe ich das endlich nachgeholt – und eine ganz andere Erfahrung mit dem Buch gemacht als erwartet, die einiges an größeren Fragen in mir angestoßen hat.

Zuallererst: Ich weiß nicht, ob ich es lieber gemocht hätte, wenn ich mich nicht schon so intensiv mit Frankenstein auseinandergesetzt hätte. Ich habe immerhin einen Essay und eine Hausarbeit dazu geschrieben und unzählige Forschungsliteratur gelesen (auch wenn vermutlich nicht einmal einen Bruchteil dessen, was die Forschung bietet) und mir dabei zwangsweise eine Meinung gebildet. Eine Meinung, in der Elizabeth eine der zahlreichen Frauen im Roman ist, die zum Schweigen gebracht wird und unter Victors Hybris leiden muss. Und eine Meinung, die so überhaupt nicht mit Kiersten Whites Interpretation zusammengeht.

Versteht mich nicht falsch: Das ist total in Ordnung. Und wenn ich jetzt auf das Buch zurückblicke, dann finde ich Whites Neuerzählung im Großen und Ganzen wirklich überzeugend. Eben weil sie in mir Überlegungen über die Konzeptionen von Neuerzählungen im Allgemeinen angeregt hat – und weil mir aufgefallen ist, dass die Neuerzählungen, die ich bisher gelesen hatte (wie Cinder, aber auch andere Frankenstein-Retellings wie This Monstrous Thing oder The Monsters We Deserve), sich weit von der Vorlage entfernt hatten bzw. lediglich einzelne Aspekte weiterverwendet hatten. Das ist bei The Dark Descent of Elizabeth Frankenstein nicht der Fall: Das Buch hangelt sich an der Vorlage (vermutlich die 1831er Version) entlang, nutzt aber Victors zahlreiche Reisen, um beispielsweise auszufüllen, was Elizabeth in dieser Zeit (angeblich) zu Hause macht.

Ich brauchte also einige Zeit, um mich in Elizabeths Abenteuern zurechtzufinden, gut das erste Drittel des Buchs über. (Zugegeben zieht sich der Plot anfangs generell ein bisschen.) Aber umso weiter die Geschichte voranschritt und umso stärker ich versuchte, mich auf Whites Interpretation einzulassen, desto mehr verstand ich, dass wir uns in einem Punkt einig waren – in einem Punkt, der mich auch schon seit längerem beschäftigte. Bei Frankenstein handelt es sich um mehrere Binnen-Erzählungen: Der Forscher Walton erzählt von Victor, der wiederum seine Geschichte erzählt, und schließlich dann noch seiner Kreatur die Gelegenheit gibt, ihre Geschichte zu erzählen. Das bedeutet, dass das Geschehen durch drei (männliche) Perspektiven gefiltert ist – drei Perspektiven, deren Glaubwürdigkeit durchaus hinterfragt werden kann. Immer, wenn ich Victors Schilderungen las, kam ich nicht umhin, mich zu fragen, wie sehr die Geschichte durch seine Verfassung geprägt ist. Was er weglässt, hinzufügt, verzerrt. Wenn man mich fragt, strebt The Dark Descent of Elizabeth Frankenstein im Kern genau dieselbe Frage an.

Die Antworten, die White auf diese Frage liefert, haben mich dann doch ziemlich überzeugen können. Nach der Hälfte konnte ich das Buch kaum noch weglegen und ich las die letzten Kapitel in einem rauschähnlichen Zustand. Wenn man nicht denkt, dass es möglich ist, wird das Buch noch düsterer, und nimmt zum Ende hin eine Wendung, die ich nicht im Geringsten erwartet hätte und die einen seltsam guten Schmerz auslöst. Das Ende ist dabei meiner Meinung nach so brillant, dass es mich beinahe vergessen ließ, dass es doch ein paar Dinge gibt, die mich an dem Buch gestört haben – wie das Pacing am Anfang oder die Tatsache, dass gerade diese enge Orientierung an der Vorlage manchmal für „Ungereimtheiten“ (also Freiheiten, die sich White genommen hat) sorgt, was aber definitiv ein persönliches Problem von mir und meiner Frankenstein-Obsession ist.

Abgesehen davon zeichnet The Dark Descent of Elizabeth Frankenstein ein düsteres Bild einer nicht nur einseitigen Abhängigkeitsbeziehung, von einer jungen Frau, die in dem Versuch, sich selbst zu schützen, andere grausame Dinge zulässt, aber auch von einer unerwarteten, bittersüßen Hoffnung. Ich kann nicht leugnen, dass mich The Dark Descent of Elizabeth Frankenstein ganz schön berührt hat und mir nachhaltig im Gedächtnis bleibt.

Fazit

The Dark Descent of Elizabeth Frankenstein und ich mussten erst einmal warm miteinander werden. Indem White Elizabeth, die im Original nur eine marginale Rolle einnimmt, zur Protagonistin macht und damit ihre Perspektive auf die Ereignisse ergänzt, brachte sie mich dazu, meine eigene (minimal festgefahrene) Interpretation der Vorlage zu hinterfragen – mit Erfolg, wenn man das so sagen kann. Neben kleineren Kritikpunkten hat mich ihre Neuerzählung schlussendlich doch ziemlich überzeugen können.

The Dark Descent of Elizabeth Frankenstein ○ Taschenbuch: 320 Seiten ○ Ember ○ Einzelband ○ ca. 10€

Du magst vielleicht auch

4 Kommentare

  1. Hallo Isabella,

    ich muss ja immer noch erst „Frankenstein“ lesen, aber falls ich das bald endlich mal schaffen sollte, werde ich mir dieses Buch vielleicht mal näher anschauen, weil ich die Autorin eigentlich ganz gerne mag. ^^ Wobei ich „And I Darken“ vielleicht auch mal weiterlesen sollte.
    Danke auf jeden Fall für diese super interessante Vorstellung und Auseinandersetzung mit diesem Buch, die diese Geschichte noch interessaner wirken lässt!

    Liebe Grüße
    Dana

    1. Liebe Dana,

      ich glaube, bei „The Dark Descent of Elizabeth Frankenstein“ ist es, im Gegensatz zu anderen Adaptationen, tatsächlich ganz hilfreich, die Vorlage zu kennen. Aber „Frankenstein“ ist meines Erachtens auch ein relativ zugänglicher Klassiker (aber da bin ich auch voreingenommen). „And I Darken“ mag ich auch echt gerne, gerade der zweite Teil hat mich noch mal mehr umgehauen als der erste.

      Freut mich, dass die Rezension dich neugierig(er) machen konnte!

      Alles Liebe
      Isabella

  2. Liebe Isabella,

    das Buch steht auch schon in meinem Regal und ich bin unglaublich gespannt auf die Geschichte. Besonders jetzt, da ich weiß, dass dir die Geschichte gefallen hat (habe ansonsten noch nichts mitbekommen, wie das Buch ankommt).

    Alles Liebe
    Janika

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.