Acts of Service von Lillian Fishman

Inhalt

Eve ist Ende 20 und hat vielleicht nicht das erreicht, was ihr Vater sich von ihr wünscht, aber immerhin ein geregeltes Einkommen und eine Partnerin, von der sie über alles geliebt wird. Doch eines Abends überfällt sie der Impuls, Nacktfotos von sich im Internet zu posten. Als Olivia sie kontaktiert, lässt sie sich auf ein Treffen ein. Aber Olivia gibt es nicht ohne Nathan. Und schon bald befindet sich Eve mitten in einer Ménage-à-trois, die genauso viele Fragen aufwirft wie sie Grenzen verschwinden lässt.

Meine Meinung

Meines Wissens nach habe ich auf dem Blog bisher nicht gestanden, dass ich vollkommen besessen mit millennial fiction bin. Nachdem ich 2020 Conversations with Friends für mich entdeckte, sprang ich im Anschluss nicht nur auf den Sally Rooney-Hype-Train auf, sondern verschlang so ziemlich alles, was nur ansatzweise in die Richtung ging. Luster, Exciting Times, Allegro Pastell – alles, was irgendwie mit Leuten in ihren Zwanzigern und zwischenmenschlichen Beziehungen mit ominösen Machtverhältnissen zu tun hat, ist für mich ein Garant, dass ich nach dem Buch greifen (und es zumindest bis zu einem gewissen Grad genießen) werde. Es war gewissermaßen unausweichlich, dass ich mir auch Acts of Service zulegen musste, wenngleich es definitiv mit ein paar Mustern des Genres bricht.

Das vielleicht vorweg: Ich finde es nicht unproblematisch, wie leicht Sally Rooney-Vergleiche gemacht und welche Universalitätsansprüche damit erhoben werden (The Making of a Millennial Woman ist ein exzellenter Artikel hierzu), aber hier soll der Vergleich gewissermaßen als Vorwarnung dienen. Wenn euch Rooneys Romane nicht gefallen, werdet ihr wahrscheinlich mit Acts of Service – das auch ohne Anführungszeichen auskommt; in dem die Figuren zwar mehr sagen, aber auch nicht wirklich reden; und das eine weiße, mittelständische Perspektive einnimmt – eure Probleme haben. Überhaupt besteht der Debütroman von Lillian Fishman vor allem aus drei Dingen: zwischenmenschlichen Interaktionen in irgendwelchen Grauzonen, Sexszenen und pseudo-erhabenen Gedankengängen. Und dennoch – beziehungsweise gerade deswegen – habe ich es gerne gelesen.

Most of all we found ourselves believing in complexity. This paradigm had some merit; it allowed us to avoid extreme states of dogma and ignorance […]. But it also easily justified lethargy. Looking around at the moral compromises baked into every choice, it sometimes seemed as though inertia was the least objectionable course.

Lillian Fishman: Acts of Service. New York 2022, S. 25.

Zuallererst gelingt es Acts of Service, die gewohnte Dynamik von millennial fiction zu verändern bzw. zu erweitern: Wir haben eben nicht nur ein heterosexuelles Kernpaar, sondern eine Dreierkonstellation, in der die Protagonistin Eve immer wieder die Rolle einer außenstehenden Beobachterin einnimmt. Kritisch blickt sie auf die ‚Beziehung‘ zwischen Olivia und Nathan und die darin eingeschriebenen Machtverhältnisse – so zum Beispiel ist Olivia Nathans Angestellte. Damit leistet sie einerseits die Beurteilung des Geschehens, die man normalerweise den Leser*innen überlassen würde, ist aber gleichzeitig selbst nicht unfrei von Verwicklungen in ebendiese Machtverhältnisse, in ihrer Urteilssprechung voreingenommen.

Dieses Leben in der moralischen Grauzone, das Eve (nicht nur) damit eingeht, macht die Lektüre des Romans so verlockend, auch – oder gerade – wenn sie sich an die Grenzen des Akzeptablen begibt: wenn man als Leserin zur Komplizin wird, wie Eve ihre Freundin betrügt, Nathans Aussagen abwechselnd als dubios verwirft oder als doch irgendwie charmant einstuft und versucht, sich zu den Diskussionen der Figuren eine eigene Meinung zu bilden. Im Hintergrund lauert immer das Gefühl, dass irgendwas nicht richtig ist. Aber die weiblichen Figuren laufen mit solch offenen Augen und Armen in die Abgründe, dass die Transparenz schon fast wieder entwaffnend wirkt.

I grew up talking about sex as this thing women should have however they want it, sexual freedom as this great sort of pinnacle beyond morality or anything provincial. So I‘m supposed to think I can‘t damage myself, that things don‘t hurt me, if I choose them, if I see them clearly? Isn‘t that just the deepest submission to power? Here, fine, I can‘t resist this anymore?

Lillian Fishman: Acts of Service. New York 2022, S. 126.

Bis zum Ende konnte ich mich nicht darauf festlegen, was der Roman sagen wollte: Dass auch augenscheinlich unmoralische Handlungen eine Art Selbstermächtigung darstellen können? Dass Eve wirklich autonom von Nathan ist, sich in Abhängigkeiten so schnell begeben wie sich ihnen entziehen kann? Die zahlreichen Diskussionen über Feminismus, Geschlecht, Sexualität und Macht könnten ein Indikator dafür sein, dass Eve die Ménage-à-trois eigentlich als Mittel zur Selbstbefragung instrumentalisiert. Auch wenn sich die Fragen auf der Oberfläche wiederholen, stellt sich irgendwann der Eindruck ein, dass es genau so sein soll: dass Nathan und Olivia als fixiertes Zweiergespann verweilen, Eve aber immer neue Positionen einnimmt, dass eigentlich sie diejenige ist, die ihre eigenen Zwecke verfolgt. Allerdings mit dem Eingeständnis, dass diese ganzen Gespräche oft hübscher klingen als sie tatsächlich Inhalte vermitteln. Zumindest ich wurde nicht immer klug daraus.

Aber auch das ist nur eine Hypothese unter vielen anderen, und sie tilgt nicht, dass Acts of Service immer wieder Unwohlsein auslöst, geradezu damit spielt, und dass es zwar nur zwei männliche Figuren gibt – Nathan und Eves Vater –, diese jedoch das Geschehen dominieren. Wenn vielleicht nicht immer in einem physischen Sinne, dann allein schon damit, wie viel Raum sie in den Gedanken von Eve einnehmen. Vielleicht ist auch das der Punkt des Romans: dass sich manche Ambivalenzen nie auflösen lassen, oder dass unangenehme Erfahrungen nicht auf der Basis dessen verurteilt werden sollten, dass sie unangenehm sind. Persönlich trifft das weniger meinen Geschmack – als Reihe an Gedankenexperimenten war Acts of Service doch ungemein reizvoll.

Fazit

Acts of Service ist eine Achterbahnfahrt durch moralische Grauzonen und (Beinahe-)Grenzüberschreitungen. Das Debüt ist keinesfalls perfekt – zu viele Reflexionen verlaufen sich in schönen Worthülsen, und ich bin mir nicht sicher, ob die Ambiguitäten ein Kunstgriff oder ein Kunstfehler sind –, aber es ist doch eine spannende Abwechslung zu anderen Genre-Vertretern. Zumindest für mich war es eine ungemein anregende Lektüre.

Acts of Service (dt. Große Gefallen) ⚬ Taschenbuch: 228 Seiten ⚬ Hogarth ⚬ ca. 13€* (engl.) / 22€* (dt.) ⚬


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