Zuschauen und Winken von Mercedes Lauenstein

Eine Frau forscht beharrlich über das Moor, auch wenn ihre Professorin seit Wochen verschwunden ist und sie sich fragt, ob ihr Arbeitsplatz überhaupt noch existiert. Ihr Partner leidet an einer mysteriösen Krankheit, sie begleitet ihn bei Arztbesuchen und auf Ausflügen und er tröstet sie und lässt sie bei sich duschen, wenn sie sich mal wieder vor den Wasserrohren ihrer eigenen Wohnung fürchtet. Mercedes Lauensteins dritter Roman Zuschauen und Winken ist eine liebevolle und wunderbare, aber auch ganz alltägliche Geschichte, deren Plot sich nur so zusammenfassen lässt, wie er erzählt wird: in Vignetten, kleinen Anekdoten, als Geflecht aus anderen Texten.

Wie kurios, dachte ich mir, als ich zufällig über den Roman stolperte und die Kurzbeschreibung las. Aber auch: Irgendwie klingt das total spannend. Das beschreibt eigentlich auch ganz gut meine Leseerfahrung: Ich wunderte, staunte und fühlte mit, runzelte die Stirn und las die eine oder andere Passage mehrmals. Beendete das Buch und las noch einmal die ersten Abschnitte und dachte mir: Was für schöne Dinge man hier zwischen den Zeilen finden kann.

Von Unwissenheit und Gewissheiten

Zuschauen und Winken ist keine klassische Krankenerzählung, und das nicht nur, weil Miros Krankheit sich jeglicher ärztlichen Diagnose entzieht. Mercedes Lauenstein wirft eine Reihe von gesellschaftlichen Fragen auf, die damit einhergehen: die Bewertungen, die bei ›Krankheit‹ und ›Gesundheit‹ mitschwingen; die Fehlerhaftigkeit des Gesundheitssystems, seine Anfälligkeit für blinde Flecken und insbesondere die Unwilligkeit von Ärzt*innen, das zu konfrontieren, was sie nicht wissen.

Ich wünsche mir eine Art Röntgenbrille, die mir anzeigt, welche der vorbeiziehenden jungen Menschen auch eine unsichtbare Krankheit mit sich herumtragen. Was haben sie falsch gemacht? Und die anderen, die vor lauter Gesundheit ihr Glück nicht erkennen, was haben sie richtig gemacht? Woher kommt meine Idee, Gesundheit sei ein persönlicher Verdienst?

Mercedes Lauenstein: Zuschauen und Winken. Berlin 2025, S. 41.

Manche Passagen legen den Finger in die Wunde, wieder andere sind heilsam, humorvoll oder im Bann des Wechselbads der Gefühle: Wut und Angst, Hoffnung und Zweifel. Genauso wie es gute und schlechte, okaye und überraschende Tage geben kann. Und trotzdem gelingt es der Autorin, aufzuzeigen, dass man auch in der Unsicherheit Momente der Beständigkeit gibt, Momente des Miteinanders, und verwehrt sich dabei Narrativen, die auf eine Bewältigung von Krankheit zielen.

Für das Leben die Augen offen halten

Immer deutlicher werden die Parallelen zwischen dem Moor und Miros Krankheit, aber auch zwischen dem Moor und dem Geisteszustand der Ich-Erzählerin. Das muss man auch nicht groß interpretieren, das gibt sie selbst zu, und das ist vielleicht auch eine kleine Kritik am Roman: Manches wurde mir zu deutlich gesagt, anderes blieb mir zu unausgesprochen, zu episodenhaft. Andererseits ist diese Zusammenlosigkeit auch passend, erhebt die Ich-Erzählerin doch die ethnologische Devise der Beobachtung aus nicht-invasiver Distanz zum obersten Gebot.

Als nicht-invasiv könnte man wohl auch ganz allgemein die Lebenshaltung der namenlosen Ich-Erzählerin bezeichnen, die sich in den meisten Bereichen im Hintergrund hält, wenig spricht und ausreichend Zeit für sich selbst braucht. Zeit, sich in Gedankenpaläste aufzuschwingen: Von den Beobachtungen hin zu Fantasien, von Ängsten hin zu Träumen und Eventualitäten.

Ich beneide meine Tasche für ihr geschütztes Versteck. Ein Versteck auf Zeit, das es auch in Menschengröße geben sollte, ein fensterloser Schrank zum temporären Rückzug gegen zwei Euro Pfand für den Fall, dass man für zwanzig Minuten von niemandem mehr gesehen oder gefunden werden möchte.

Mercedes Lauenstein: Zuschauen und Winken. Berlin 2025, S. 171.

Gerade deshalb scheint ihre Beziehung mit Miro so gut zu funktionieren, weil die beiden sich über Körper- und Kopf-Krisen hinweg verständigen können, füreinander da sind und sich Raum geben. In dieser Hinsicht ist Zuschauen und Winken auch ganz tröstlich: Egal, was ist, die beiden finden einander. Und das gilt umso mehr für die Beobachtungen der Ich-Erzählerin, denn ganz gleich, wo sie hinsieht, geht auch irgendwo das Leben weiter. Und das bedeutet, auch dass schon der nächste Blick auf etwas Wunderbares fallen kann.

Auch wenn es sich bei Zuschauen und Winken um eine kurze Lektüre handelt, bringt sie ganz große Themen mit, ohne den Text zu erschweren. Im Gegenteil: Manchmal hätte ich mir sogar noch mehr Seiten gewünscht, waren die Lücken zwischen den einzelnen Vignetten für mich schwer zu schließen. Aber gleichzeitig ist es gerade dieses Episodenhafte, was den Text so reizvoll macht, verwehrt er sich dadurch linearen Erzählungen und rückt eine Lebendigkeit, eine Lebensfreude in den Vordergrund, die durch die Beobachtungen der Ich-Erzählerin durchschimmert. Die Aufmerksamkeit der Zuschauerin ist eine Liebeserklärung in sich.

Zuschauen und Winken ⚬ Hardcover: 192 Seiten ⚬ Blumenbar ⚬ 22€ ⚬

Herzlichen Dank an den Aufbau Verlag für das Rezensionsexemplar!

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