Women Living Deliciously von Florence Given

Als mich vor ein paar Wochen Women Living Deliciously als Überraschungspost vom KiWi Verlag erreichte, war ich zu gleichen Teilen freudig überrascht und skeptisch. Freudig überrascht, weil ich Givens Debüt, Women Don‘t Owe You Pretty – ein niedrigschwelliges Feminismus 101 –, vor einigen Jahren ganz gerne gelesen habe; skeptisch, weil ich, gelinde gesagt, mit Selbsthilfeliteratur so meine Probleme habe. Das hielt mich jedoch nicht davon ab, in der Hoffnung auf etwas Empowerment in das Buch reinzulesen. Ohne zu viel vorwegzunehmen: Ähnlich zwiegespalten gestaltet sich auch meine Leseerfahrung.

Women Living Deliciously soll Frauen (streng genommen, so Given, handelt es sich hierbei um ein Buch für jede*n – naja …) dazu animieren, ein genussvolleres Leben zu leben, das heißt: mehr Freude und Selbstbewusstsein zu kultivieren. Anhand von drei Teilen – Jäten, Pflanzen und Blühen – sollen Leser*innen lernen, negative Glaubenssätze loszuwerden, die Grundlagen für ein freudvolleres Leben zu erlernen und dieses schließlich in vollen Zügen zu genießen. Von Verlagsseite aus wird das Buch als „feministisches Manifest“ bezeichnet, für meinen Geschmack wird das Label Feminismus viel zu leichtfertig herumgeworfen, sobald sich weiblich gelesene Personen auch nur ansatzweise mit „Frauenthemen“ auseinandersetzen. Dass es sich bei Women Living Deliciously bestenfalls um instagrammable white feminism handelt, wird später noch mal Thema.

Große Worte, wenig Inhalt

Dachte ich mir am Anfang meiner Lektüre noch, dass das Konzept des Buchs eigentlich ganz cool klingt, wurden meine Erwartungen schon bald massiv enttäuscht. Nach einem kurzen anfänglichen Exkurs über das Patriarchat und die Internalisierung des male gazes – natürlich alles nicht neu, aber kann man ja nie oft genug hören –, geht es die restlichen dreihundert Seiten gebetsmühlenartig um das genussvolle Leben. Diese drei Teile, in die das Buch eingeteilt ist? Ich konnte zwischen ihnen keinen Unterschied feststellen. Es geht sogar soweit, dass ich mir bei jedem Kapitel dachte: Das habe ich doch schon mal gelesen? Die Überschriften unterscheiden sich zwar, aber inhaltlich wiederholt Given die gleichen Floskeln: dass man möglichst authentisch leben müsse, dass man sich nicht von anderen Leuten beirren lassen dürfe, ganz gleich, in welchem Lebensbereich; Dankbarkeit und Achtsamkeit als Schlüssel zu mehr Freude; man habe auf die kleinen Dinge zu achten, die den Alltag ausmachen, und müsse sie dabei mit allen Sinnen genießen; und so weiter und so weiter.

Das ist ja alles schön und gut, hätte aber – gemein gesagt – auch als Instagram-Post gereicht. Da die Illustrationen der Autorin in das Buch eingeflochten sind (und zumindest die Aufmachung im Allgemeinen sehr gelungen ist), wäre der Schritt dorthin zumindest nicht weit. Das Problem mit Women Living Deliciously ist, dass die Autorin sehr viele Worte verwendet, um sehr wenig zu sagen. Gelungene Sachbücher müssen meiner Meinung nach entweder Substanz haben oder mit Autobiographischem angereichert sein, um überzeugen zu können. Given wirft allerdings nur mit Buzzwords um sich herum, darunter auch mein persönlicher Pet Peeve, dass sie jede vage schlechte Sache, die einem widerfahren kann, als Trauma bezeichnet – die Einstiegsdroge zur Banalisierung psychischer Gesundheit. Zusätzlich unangenehm ist die inflationäre Verwendung von „verdammt“ und Abwandlungen dergleichen. Wenn man das englische Äquivalent „fucking“ bei Google Books eingibt, kommt man bei über 80 Erwähnungen raus, also etwa alle vier Seiten einmal. Dass die deutsche Übersetzung an vielen Stellen ungelenk ist und nachlässig lektoriert wurde, setzt dem Ganzen die Krone auf.

Neoliberalismus in Pink

Women Living Deliciously bedient sich dem gleichen Mythos wie die meisten Selbsthilfebücher: diesem ultimativen Versprechen, dass das bestmögliche Leben nur einen Schritt entfernt ist – dass die Leserin sich jederzeit dafür entscheiden kann und es allein von ihrer Tatkraft abhängig ist, ob sie es verwirklichen kann. Dabei lassen sich alle Hürden überwinden, wenn man nur genug Willenskraft hat. Kurzum: Die Verantwortung wird vollkommen auf das Individuum abgeschoben. Strukturelle Hürden gibt es dabei nicht.

So weit, so klassischer Neoliberalismus. Aber gerade dadurch, dass Women Living Deliciously auf ein primär weibliches Publikum zielt (bei dem Marketing und den Aktivitäten, die Given so aufzählt, kann mir niemand was anderes weismachen), wird es noch mal einen Ticken heimtückischer. Wenn ich Deep Work von Cal Newport lese, dann gehe ich immerhin von Anfang an davon aus, dass es von einem weißen Mann geschrieben wurde, der sich in der Welt allein schon deshalb freier bewegen kann (und sich vermutlich noch nie im Leben Gedanken über Care-Arbeit gemacht hat). Aber wenn Florence Given daherkommt und plädiert, dass es allen Frauen total egal sein muss, was andere Menschen über sie denken, und sie sich einfach so kleiden und verhalten sollen, wie es ihr Herz begehrt, dann fühlt sich das rundheraus zynisch an. Es gibt im ganzen Buch zwei Sätze, die sich auf Personen beziehen, die Betreuungspflichten haben, von der Inklusion von PoCs und Personen, die nicht able-bodied sind, ganz zu schweigen. Psychische Gesundheit wird vollkommen trivialisiert: Given gesteht zwar zu, dass es uns allen mal nicht so gut geht, aber wenn man nur anfängt, früh aufzustehen, am Kaffee zu riechen und bunte Sachen anzuziehen, kann jeder Tag der schönste unseres Lebens sein.

Okay, könnte man mir entgegenhalten: Das ist jetzt ganz schön pingelig – wie soll ein Buch jede denkbare Lebensrealität abbilden? Aber das verlange ich überhaupt nicht. Mir geht es nur darum, anzuerkennen, dass wir in einer Welt leben, wo, wie zum Beispiel in Deutschland, fast jeden Tag ein Femizid begangen wird. Die Frage, wie FLINTA* sich auf der Straße kleiden, ist weit mehr als nur Mut zum Selbstausdruck – es ist immer auch ein Kalkül, ob man es sich leisten kann, gesehen zu werden. Der Catch-22 ist dabei natürlich, dass einem immer Gewalt widerfahren kann, ganz egal, was man (nicht) getragen hat. Ebenso lassen sich psychische Krankheiten nicht so leicht überwinden, im Gegenteil: Mit der begrenzten Anzahl von Therapieplätzen und hartnäckiger Stigmatisierung kriegen viele Menschen nicht die Hilfe, die sie benötigen. Und die ganzen Medien, die wir doch einfach mal aus unserem Leben entfernen sollen, um so richtig produktiv zu sein (Given hat einfach ihr Netflix-Abo beendet) – tja, die wurden exakt so designt, um es uns so schwer wie möglich zu machen, sie hinter uns zu lassen. Und ob man den Nutzer*innen mit Blick auf den Zustand der Welt den Eskapismus verübeln will, sei dahingestellt.

Individualismus für Anfänger*innen

Selbst wenn man diese Tiefenanalyse beiseite lässt, ist es immer noch erstaunlich, wie fucking (ha!) normativ und privilegienblind dieses Buch ist. Zwar behauptet Given, dass die Leser*innen selbst herausfinden sollen, wie sie ihr Leben am liebsten leben möchten. Zwischen den Zeilen kann man aber herauslesen, dass auch sie eigentlich nur das Ideal propagiert, das sich in jeder Ecke des Internets findet: Selbstverbesserung durch frühes Aufstehen, Social Media-Abstinenz und Arbeit an den eigenen Zielen. Dass nicht einfach jede Person ihren Job aufgeben kann, um eine Reise zu unternehmen (ja, das ist ein ernsthafter Vorschlag, der dazu beitragen soll, die kurze Zeit, die wir alle auf Erden haben, vollends zu nutzen), scheint ihr vollkommen zu entgehen. Ebenso wie die Ironie, dass ein Großteil ihrer Karriere darauf basiert, dass sie eine Person des Internets ist und Leute ihr dafür regelmäßig ihre Zeit schenken.

Das heißt natürlich nicht, dass Given in jeglicher Hinsicht unrecht hat. Natürlich ist es erwiesen, dass Achtsamkeit, Frischluft und eine solide Schlafroutine uns zu ausgeglicheneren Menschen machen. Auch wenn ich mich über die meisten Kapitel geärgert habe, gab es auch Passagen, die mich angeregt haben, tatsächlich mal etwas mehr mit meiner Umgebung zu interagieren und zu hinterfragen, ob ich meine Kleidung nach ihrem Wohlfühl- oder Performance-Faktor auswähle. Aber die Heile-Welt-Vorstellung von Women Living Deliciously ist eine Illusion, welche Leser*innen potenziell nur unglücklicher macht, wenn sie glauben, dass sie an sich selbst – und nicht an den oppressiven Strukturen – scheitern, wenn es ihnen nicht gelingt, mit mehr bunten Farben und Naturkontakt ein besseres Ich zu produzieren. Das ist natürlich das Paradox eines jeden Selbsthilfebuchs: Nuancen sind mit der Gattung unvereinbar.

Women Living Deliciously ⚬ übersetzt von Andreas Helweg, Simone Jakob und Pauline Kurbasik ⚬ Taschenbuch: 384 Seiten ⚬ Kiepenheuer & Witsch ⚬ 20€ ⚬

Vielen Dank an den KiWi Verlag für das Rezensionsexemplar!

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Ein Kommentar

  1. „die Einstiegsdroge zur Banalisierung psychischer Gesundheit“ 😂 herrlich! Ich muss es noch einmal sagen: eine wunderbare Kritik hast du da geschrieben, sowohl stilistisch als auch inhaltlich! Hab ich sehr gern gelesen.

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