Da es sich hierbei um den letzten Band einer Trilogie handelt, kann die Rezension Spoiler zu den ersten beiden Bänden enthalten.
Inhalt
Eigentlich dachte Mia, dass sie nach all der Zeit endlich ihre Familie gerächt hätte. Aber das Schicksal hat einen anderen Plan für sie: Konsul Scaeva ist quicklebendig und gefährlicher denn je, und Mias Mission größer als sie jemals hätte ahnen können …
Meine Meinung
Wenn ich meine Meinung zur Nevernight-Trilogie in einem Satz zusammenfassen müsste, würde dieser wahrscheinlich so lauten: Nevernight: Die Prüfung begeisterte mich restlos mit seiner Originalität, Nevernight: Das Spiel dämpfte meine Begeisterung etwas und Nevernight: Die Rache tötete sie. (Wenigstens letzteres ist on brand, schätze ich.) Zu sagen, dass ich enttäuscht bin von dem Abschluss der Trilogie rund um Mia und ihre mehr oder weniger düsteren Gefährt*innen, wäre untertrieben.
Die Probleme des letzten Bandes fangen bereits bei seiner Länge an: Die deutsche Übersetzung misst knapp 800 Seiten, die die Geschichte unnötig aufblähen und in die Länge ziehen. Anstatt sich ausschließlich auf Mias Perspektive zu beschränken, zieht Kristoff in diesem Band zahlreiche andere Perspektiven hinzu, ändert dabei aber gefühlt nur die Namen und nicht den Tonfall, sodass die Figuren ineinander übergehen und zunehmend austauschbar werden. Der Schreibstil ist geprägt von Adjektivhäufungen und überzogenen Platitüden, die das Erzählte oftmals plakativ wirken lassen.
Diese Perspektivierung hat nicht nur einen begrenzten Mehrwert, sondern wird zusätzlich von einer Menge Füllszenen ergänzt, die sich so lesen, als würde Kristoff sich auf seinen Publikumslieblingen ausruhen. Heißt: Auf obszönen Smalltalk, um zu zeigen, wie abgehärtet alle Beteiligten sind, folgt eine Sexszene, folgt eine Szene, in der geraucht und/oder getrunken wird, neuer obszöner Smalltalk, etc. Während das anfangs zwar ganz unterhaltsam ist, kann es nicht auf Dauer darüber hinwegtäuschen, dass der Plot ganz schön auf der Strecke bleibt. Vor allem bleibt das Gefühl, dass Kristoff sich selbst besonders großartig findet, wozu gewisse eine Enthüllung im Zusammenhang mit Aelius’ Bibliothek (ohne zu viel zu verraten) maßgeblich beiträgt. Selbstreferenzialität ist schön und gut – aber ab einem gewissen Grad liest sie sich wie Selbstverliebtheit. Und Kristoff kann in dieser Hinsicht ganz und gar nicht die Balance halten.
Überhaupt hatte ich beim Lesen von Nevernight: Die Rache das Gefühl, dass beinahe alles, was die Bücher jemals interessant gemacht hat, verloren gegangen ist. War Mia im ersten Band noch eine komplexe Antiheldin, gehört sie im letzten Band vollständig einem generischen Ausgewählten-Narrativ an, wie Heike Lindhold in ihrer Rezension grandios darlegt. Sämtliche Nebencharaktere, die in den ersten zwei Bänden eingeführt wurden, verlieren sukzessiv an Profilschärfe und sind im finalen Band austauschbar. (Die einzige Ausnahme bildet da für mich Clou Corleone, ein Pirat, der sich zwar verdächtig wie ein FSK 18-Nikolai-Lantsov liest, aber immerhin dem Buch ein paar amüsante Szenen beschert – bis sein Strang lieblos, wie eine Art nachträglicher Einfall, aufgelöst wird.) Wie ich schon oben angedeutet habe, ist es daher ungemein schwer, sich groß um das Geschehen zu kümmern. Das Liebesdreieck wirkte inszeniert, die Auflösung rätselhaft; Tode von Figuren las ich, ohne mit der Wimper zu zucken, weil ich quasi nichts mit ihnen verband.
Kurz gesagt – all die großen Versprechungen, die im ersten Band gemacht wurden, werden nicht eingelöst. Im Gegenteil: Zuweilen hatte ich das Gefühl, der Autor würde sich extra bemühen, das Ende so sanft wie möglich zu gestalten, koste es, was es wolle. Ein paar lakonische Fußnoten können da auch nichts mehr reißen, und brüske Kommentare oder ausführliche Sexszenen geben der Reihe nichts von der Seriosität zurück, die ihr einst gehörte. Selbst auf den letzten Seiten musste ich mich noch anstrengen, weiterzulesen, weil ich so uninteressiert an den Inhalten war. Es ist wirklich schade, weil Nevernight: Die Prüfung so vielversprechend war. Aber Jay Kristoff scheint zu hoch gegriffen zu haben, was den ganzen Metadiskurs des letzten Bandes nicht nur unangenehm, sondern fast schon peinlich macht.
Fazit
Nevernight: Die Rache kann seinen Vorbänden nicht einmal ansatzweise das Wasser reichen. Der finale Band der Trilogie verwässert im besten Fall alles Vorangegangene oder subvertiert es im schlimmsten Fall, sodass man sich beinahe zu fragen beginnt, warum man so begeistert vom ersten Band war. Damit ist der Abschluss nicht nur eine ungemein mühsame Lektüre, sondern eine Enttäuschung auf nahezu jeder Ebene.
Nevernight: Die Rache ⚬ Hardcover: 784 Seiten ⚬ Fischer Tor ⚬ Band 3/3 ⚬
3 Kommentare
Ich kann dir leider nur beipflichten. Meine Bewertung fiel zwar weniger streng aus, aber meine Kritikpunkte waren ähnlich. Ich finde es verblüffend, wie sich das vom ersten zum dritten Band so wandeln konnte und habe direkt infrage gestellt, ob ich den ersten Band inzwischen auch so lesen und weniger mögen würde oder ob der dritte einfach so viel schlechter war. Die Sexszenen fand ich auch zunehmend unangenehm, ich weiß nicht, ob das daran liegt, dass mir so bewusst war, dass ein Mann über zwei Frauen schreibt oder ob sie einfach in den Teilen davor besser waren.
Das mit der Metaebene hat mich auch genervt. Weniger weil ich das Gefühl hatte, dass Kristoff sich damit selbst feiert, sondern weil es so ein Gimmick ist, das irgendwie cool wirken soll, am Ende aber nicht so wirklich Sinn ergibt bzw. die Geschichte bereichert. Ich finde Metafiktion sowieso schwierig bzw. sollte sie nur verwendet werden, wenn es so richtig gelungen passiert. War hier leider nicht der Fall.
Ja, du hast vollkommen recht, was die Metafiktion anbetrifft. Bei den Sexszenen ging es mir ähnlich, aber das spielt für mich auch ein bisschen in die Selbstbeweihräucherung mit rein – ich bin Kristoff lange Zeit auf Twitter gefolgt, wo er immer wieder die Sexszenen groß angekündigt und auch sogar mal explizit betont hat, dass er von Lesben Komplimente dafür bekommen hat. Das fand ich nach einer Weile ziemlich unangenehm – ich glaube, deshalb hab ich das auch in die Metafiktion mit reingelesen. 🙃
Oh ja, das glaub ich, dass dich das dann beeinflusst. Ich ziehe es meistens dann doch vor Autor:innen nirgendwo zu folgen. Zum einen finde ich ihre Inhalte meist gar nicht so interessant, zum anderen bewahrt mir das mein Bild von ihnen ;D Klingt echt unangenehm bei Kristoff, ich hatte auch mitbekommen, dass es in einer Buchbox mal ein deleted chapter gab mit einer Sexszene zwischen Mia, Tric und Ash. Geht ja in eine ähnlich Richtung 🙄