Die Männer in meinem Leben von Sofia Rönnow Pessah

Trigger-Warnung: sexueller Missbrauch, graphische Darstellungen von nicht-einvernehmlichem Sex

Inhalt

Tagsüber ist Sonia Juristin, ihre Nächte bestehen aus Partys und Sex. Bei den Dates geht es ihr hauptsächlich darum, gewollt zu werden, und sie tut alles, um den Männern zu gefallen – doch wie lange kann sie damit weitermachen, bis die Leere in ihrem Leben überhandnimmt?

Meine Meinung

Die Männer in meinem Leben ist auf jeder Ebene ein unkonventioneller Roman, und das ist sowohl sein Vor- als auch sein Nachteil. Auf den letzten Seiten war ich mir noch immer unsicher, wohin dieses Buch führen würde, und ich dachte mir erst Das kann‘s nicht sein, um die letzte Seite zu lesen und hinzuzufügen: So muss es sein.

Wer bei dem Buch eine komplexe Auseinandersetzung mit Geschlechterverhältnissen erwartet, wird enttäuscht sein. Nicht, weil es nicht vor grauenvollen Machtdynamiken strotzt, sondern weil die Protagonistin Sonia so tief in ihnen steckt, dass sie gar nicht die nötige Distanz dazu entwickeln kann. Selbst wenn sie merkt, dass etwas schiefläuft, kann sie es nicht richtig artikulieren und führt Verfehlungen auf sich selbst zurück. Gleichzeitig hat sie die gesellschaftlichen Missverhältnisse dermaßen internalisiert, dass sie selbst eine Künstlerin der Grenzüberschreitungen wird, die sie erstaunen und stutzen lassen – aber auch wieder fehlt ihr hier die Sprache, verdrängt sie Erkenntnisse mit neuen Eskapaden.

Mir ist insgeheim klar, dass ich für ihn nur Fiktion war. Eine Fiktion, die meinem Ich durchaus ähnlich, aber nicht ich war. Die ich war, nur ohne die Anstrengung, ohne den Inhalt meiner Nörgeleien. Ohne viele der Bedürfnisse, denen ich in unserer gemeinsamen Zeit immer wieder Ausdruck zu verleihen versuchte. Stattdessen war ich die bessere Version, eine, die er ertragen konnte.

Sofia Rönnow Pessah: Die Männer in meinem Leben. Berlin 2021, S. 149.

Die Männer in meinem Leben entzieht sich in scheinbar konventionellen Anekdoten jedem konventionellen Narrativ. Der Klappentext, der verlautet, dass Sonia sich immer wieder frage, wer sie „ohne die Bestätigung der Männer“ sei, muss wörtlich genommen werden: Sie steht immer wieder vor der Frage, aber für eine Antwort fehlen ihr auch hier die Worte. Meine Erwartung, dass sie irgendwann an ihren Tiefpunkt stößt, wurde kontinuierlich entfacht und gleichzeitig negiert, wenn jedes Kapitel nur ein neuer Tiefpunkt darzustellen schien. Bei einem Großteil der geschilderten Situationen habe ich mich unwohl gefühlt. Da das Geschehen durch Sonia vermittelt wird und sie, selbst wenn sie nicht gerade in Selbsthass oder in Depressionen versinkt, in der Regel davon ausgeht, das müsse so sein, wird es manchmal trügerisch neutral geschildert, beinahe klinisch. Es verstärkt das Unwohlsein, wenn man als Leser*in selbst stutzt, die Augen nochmals zurückwandern und man merkt, was man beinahe einfach so überlesen hätte.

Der Roman changiert zwischen subtilen Hinweisen und unüberhörbaren Paukenschlägen. Was Sonia anbetrifft, wird von Anfang an geradezu überpotenziert klargemacht, in was für einem ungesunden Verhältnis sie zu sich selbst und ihrem Körper steht, dass in ihrem Leben eine Leere klafft, die sie verzweifelt mittels Sex und Alkohol zu kompensieren versucht. Gleichzeitig macht sich eine Ebene auf, die dann doch Geschlechterkritik ausübt, wie zum Beispiel die Durchnummerierung von den Männern, mit denen Sonia schläft (und ja, Nummern und Seitenzahlen korrespondieren auf dem Cover, was ich sehr gelungen finde) – meistens bleiben sie sogar nur Nummern, weil Sonia ihre Namen nicht kennt oder nicht für erwähnenswert hält. Dies steht einerseits in einem Spannungsverhältnis zu dem Raum, den der eigentlich bedeutungslose Sex in ihrem Leben einnimmt, andererseits habe ich es als Augenzwinkern in Richtung all der Männer gesehen, die ihre eigene Bedeutung bei Frauen überpotenzieren.

Ich träume nicht davon, mit ihm in den Urlaub zu fahren, seine Familie kennenzulernen, und stelle mir auch nicht vor, wie der gemeinsame Sonntagsbrunch aussehen könnte. Ich habe nur diese unerreichbare Fantasie, dass er mich haben wollen könnte. Nur die nicht existierende Chance auf Bestätigung durch ihn.

Sofia Rönnow Pessah: Die Männer in meinem Leben. Berlin 2021, S. 209.

Der episodische Charakter und die Konzentration auf die nächtlichen Eskapaden spiegelt natürlich formal die Bedeutung wider, die all das für Sonia hat. Gleichzeitig wird es dadurch schwer, dem winzigen roten Faden, den es doch irgendwie gibt, zu folgen. Immer wieder ertappte ich mich dabei, die Männer durcheinanderzubringen (obwohl das natürlich auch der Lesart des Buchs entgegenkommt), oder war verwirrt, dass Sonias Leben abseits all dessen so gut funktionierte. Selbstverständlich gibt es genug Leute, denen es gelingt, den Schein aufrechtzuerhalten, auch wenn bei ihnen alles drunter und drüber geht, aber gerade wegen der umfassenden Eskapaden und der Tatsache, dass sie sich gefühlt jede Nacht abschießt, war ich doch überrascht, dass ihr Berufsleben inklusive umfassenden Freundes- und Bekanntenkreis so intakt war. Die Unkonventionalität des Erzählsverlaufs imponierte mir zwar, ließ mich aber auch immer wieder fragen: Und nun? Was soll mir damit gesagt werden? Andererseits gefällt mir auch das, nicht zuletzt, weil es Sonias Innenleben spiegelt, hin- und hergerissen zwischen Abhängigkeit und Selbsterkenntnis, immer an der Schwelle, gefangen in der Oszillation.

Fazit

Wer von Die Männer in meinem Leben ein klassisches Besserungsnarrativ oder eine komplexe Analyse von Geschlechterverhältnissen erwartet, wird enttäuscht werden. Stattdessen wird die Disposition der Protagonistin übererklärt und anderes zwischen den Zeilen versteckt. Das macht aber auch den Reiz des Buchs aus: Wenn man als Leserin von einer Eskapade zur nächsten mitstolpert, droht man selbst, Komplizin zu werden.

Die Männer in meinem Leben ⚬ aus dem Schwedischen von Leena Flegler ⚬ Hardcover: 272 Seiten ⚬ Ullstein Verlag ⚬ 22€ ⚬

Vielen Dank an den Ullstein Verlag für das Rezensionsexemplar!

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