Ein wirklich erstaunliches Ding von Hank Green

Inhalt

Als die dreiundzwanzigjährige April May nach Überstunden auf der Arbeit mitten in der Nacht nach Hause läuft, stößt sie auf einen riesigen Roboter mitten in New York. Zusammen mit ihrem besten Freund Andy dreht sie ein Video über Carl, wie sie den Roboter nennen. Als April am nächsten Morgen aufwacht, ist das Video viral gegangen – und sie mit einem Mal berühmt. Und so nehmen die Konsequenzen ihrer Entdeckung ihren Lauf …

Meine Meinung

Als eines Tages ein Päckchen von dtv mit einem Lesexemplar von Hank Greens Debüt aus dem neuen Imprint bold bei mir landete, konnte ich mein Glück kaum fassen – seitdem der Roman angekündigt wurde, war ich unglaublich gespannt, wie sich Hank Green als Autor etablieren würde.

Ich fühle mich irgendwie genötigt, das zu erklären, aber es macht in meinen Augen nicht den geringsten Sinn, John Green mit Hank Green zu vergleichen. Nicht nur, weil sie in unterschiedlichen Genres und Altersklassen schreiben, sondern auch, weil ihre Bücher Teile ihrer Persönlichkeiten und Interessensgebiete reflektieren, und da diese sich nur bedingt überschneiden, ist ein Vergleich meiner Meinung nach wenig fruchtbar. Nur, weil mich am Ende des Tages (noch) John Greens Bücher mehr begeistern, heißt das im Umkehrschluss nicht, dass er per se „der bessere Autor“ der beiden ist.

Grundsätzlich könnte Ein wirklich erstaunliches Ding nicht aktueller sein. Nicht nur behandelt es Über-Nacht-Internet-Berühmtheit, sondern auch all das, was danach kommt. Für mich waren das ganz oft Dinge, über die ich mir noch nie so wirklich Gedanken gemacht hatte: die Auswahl eines Agenten, von dem man repräsentiert werden soll; dass Auftritte im Fernsehen nicht zwingend mit Gagen verbunden sind; die Art und Weise, wie man sich repräsentiert, wie man sein eigenes Image konstituiert. Man merkt, dass Green weiß, wovon er spricht, und es ist faszinierend, wie vielseitig und intensiv Berühmtheit in all ihren Facetten diskutiert wird.

April ist eine sehr präsente Protagonistin – anders kann ich es nicht beschreiben. Ich mag sie nicht wirklich, aber ich bin mir eigentlich ziemlich sicher, dass das die Absicht ist. April ist nicht nur ein Paradebeispiel des Über-Nacht-Erfolgs, sondern eben auch die Inkarnation der Konsequenzen, die erfolgen, wenn man sich ganz und gar diesem öffentlichen Image verschreibt. Dadurch, dass sie auf eine bestimmte Präsentation von sich aus ist, fleißig Twitter pflegt, um ihre Abonnentenzahl hochzuhalten, ist sie in anderen Bereichen alles andere als anwesend oder aufmerksam und geht dementsprechend auch mit ihren Mitmenschen um. Das macht sie nicht sympathisch, passt aber zur Geschichte und macht insbesondere in Hinblick auf das Ende sehr viel Sinn. Und ich habe kein Problem damit, über eine unsympathische Protagonistin zu lesen – aber ich konnte mich einfach nie so recht für April begeistern. Immer wieder stieg die Frage in mir auf, warum ich mich jetzt ausgerechnet für ihre Geschichte interessieren sollte.

Hinzu kommen längere Passagen, in denen April vollkommen aus der Geschichte heraussteigt und ordentlich losphilosophiert. Das geht von weltlichen Dingen wie eine Liste mit Dingen, die man „tun sollte“, wenn man keine längerfristige Beziehung will, bis hin zu abstrakteren Überlegungen wie verschiedene Berühmtheitsstatus – und gerade bei letzteren hatte ich den Eindruck, dass April verschwindet und Hank Green selbst einfach mal essayistisch darlegt, was er sich so für Gedanken über die Internetwelt gemacht hat. Was vollkommen okay ist und grundsätzlich nicht uninteressant, nur eben mal schnell den Lesefluss stören kann. Im Fall von Ein wirklich erstaunliches Ding wurde die Geschichte dadurch nur noch weiter entschleunigt.

Das ist vermutlich mit mein größter Kritikpunkt an dem Buch – dass es sich gefühlt ewig nicht vom Fleck bewegt hat. Ich mag‘s grundsätzlich, wenn es undurchschaubar ist, wo die Geschichte hinführt, aber hier war es einfach zu viel. Ich wusste nicht mal, wo ich mit Verknüpfungen anfangen sollte, so wenig Hinweise gab der Text stellenweise her. Gegen Ende hin wird es um einiges spannender, aber es war anstrengend, überhaupt erst dorthin zu kommen.

Dennoch gibt es einiges, was mir an Ein wirklich erstaunliches Ding zugesagt hat. Zum einen sind das die Nebencharaktere: Andy, Aprils bester Freund; Maya, Aprils „Mitbewohnerin“/(Ex-)Freundin; Robin, Aprils persönlicher Assistent (oder mehr?); Miranda, Wissenschaftlerin und bald Vertraute. Bei der Ausarbeitung dieser Nebencharaktere beweist Hank Green unglaublich viel Fingerspitzengefühl, ich wusste nie, wen ich lieber mochte. (Okay. Robin ist mein heimlicher Favorit – irgendwas an seiner offen-ehrlichen Loyalität ist mir besonders ans Herz gewachsen.)

Auch Diversität spielt eine Rolle in dem Buch, und zwar nicht nur eine à la „Hey, Charakter X ist Y und wir erwähnen das nicht noch mal“, sondern es wird eine aktive, durchaus kritische Auseinandersetzung gefördert, was mir gut gefiel. April ist bisexuell, wird aber dazu gedrängt, sich im Rahmen ihrer öffentlichen Person als „nur lesbisch“ zu geben, was noch im Roman problematisiert wird. Die Tatsache, dass Maya schwarz ist, wird auch nicht nur am Rande erwähnt; sie spricht zum Beispiel darüber, dass Schwarze von Weißen oft in die Rolle des Sprechers für alle Schwarzen gedrängt werden. Maya und Miranda befinden sich darüber hinaus auch irgendwo auf dem queeren Spektrum. Ich kann für keine dieser Repräsentationen aus eigener Erfahrung sprechen, hatte aber zumindest den Eindruck, dass Green sehr sensibel damit umgeht; er verweist auch in der Danksagung noch mal explizit auf seine Sensitivity Leser*innen.

Und natürlich schafft es Ein wirklich erstaunliches Ding, das Lebensgefühl dieses 21. Jahrhunderts einzufangen, und darüber hinaus, was es heißt, ein*e junge*r Erwachsene*r zu dieser Zeit zu sein. Ich habe von Hank Green nichts anderes erwartet, dennoch ist es schön, Social Media in all seinen Facetten „akkurat“ repräsentiert zu sehen. (In Anführungszeichen, weil es keine universalen Erfahrungen gibt. Aber es ist immer erfrischend, „Twitter“ nicht nur als abstrakten Begriff in einen Roman hineingeworfen zu finden, damit dieser modern wirkt.) Das reicht vom konstanten Am-Handy-kleben über Auseinandersetzungen mit Trollen bis hin zum Bilden von eigenen Communities.

Obwohl ich bei der Ankündigung des Buches einen Einzelband vermutete, hatte ich in der Zwischenzeit zur Genüge mitgekriegt, dass Aprils Geschichte alles andere als abgeschlossen ist. Und ja: das Ende macht Lust, weiterzulesen. Irgendwie. Irgendwie gibt es aber auch einen Teil von mir, der sich fragt, ob man das Ganze nicht besser gestrafft und in einem Buch zu Ende gebracht hätte. Ich weiß noch nicht, ob ich weiterlesen werde – jetzt bin ich erst mal gespannt, wie die anderen Leser*innen Carl empfangen.

Fazit

Ein wirklich erstaunliches Ding hat mich nicht durchweg begeistern können. Sowohl mit der Protagonistin als auch mit dem Pacing des Romans hatte ich so meine Probleme, dafür konnten mich die Nebencharaktere, die Diversität, vor allem aber der Zeitgeist des Romans uneingeschränkt begeistern.

Ein wirklich erstaunliches Ding wurde mir unaufgefordert von dtv zugesendet. Vielen Dank dafür!

Ein wirklich erstaunliches Ding ○ übersetzt von Katarina Ganslandt ○ Hardcover: 448 Seiten ○ Band 1/? ○ dtv ○ 22€*


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2 Kommentare

  1. Ach, ich bin irgendwie erleichtert, dass du das Buch so ähnlich empfunden hast, wie ich. So viele Leser haben es bereits als Jahreshighlight betitelt, dass ich mich wie die Meckertante vom Dienst gefühlt habe, als ich die Begeisterung nicht nachvollziehen konnte. April May hat mich während des Lesens so fertig gemacht, meine entrüsteten Ausbrüche könnten bestimmt eine ganze Stunde füllen. ^^’
    Du hast die Thematiken des Buches mal wieder super zusammengefasst, ich habe mir bei dem Versuch die Themen alle unter einen Hut zu bringen die Haare gerauft. Hank Green hat einen tollen Job gemacht ein vielschichtiges Buch zu schreiben, ich bin auf mehr gespannt. (Wenn auch nicht unbedingt von April May.)

    Alles Liebe
    Friederike

    1. Mich freut es auch sehr, damit nicht allein zu sein, ich habe nämlich bisher auch nur sehr begeisterte Meinungen gelesen. Deine entrüsteten Ausbrüche würde ich übrigens zu gerne hören 😀
      Vielen lieben Dank! Ja, du hast recht, in dem Buch ist wirklich einiges drinnen, das muss man Hank Green lassen. Auch wenn ich nicht sicher bin, ob ich mit dieser Reihe weitermache, werde ich definitiv seine zukünftigen Publikationen im Auge behalten. 🙂

      Alles Liebe
      Isabella

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